Die Diskussion rund um das Thema Schul-Inklusion hat ihre Sachlichkeit verloren. Immer häufiger wird der Diskurs durch Gefühle, Ängste und persönliche Interpretationen bestimmt.
Die Bertelsmann Stiftung hat im September 2018 eine aktuelle Studie veröffentlicht, die Fakten zu den gefühlten Wahrnehmungen in den Diskurs einbringt und die Diskussion wieder versachlichen kann.
Professor Klaus Klemm untersuchte für die Studie bundesweit und länderbezogen die Zahlen von Schüler*innen mit Behinderung in Förderschulen und in allgemeinen Schulen. Dabei hat er den Blick nicht auf die Inklusions- sondern auf die Exklusionsquote gerichtet, das heisst: Wie vielen Kindern mit Förderbedarf bleibt ein Platz an einer Regelschule weiterhin verwehrt.
Er stellte fest, dass mittlerweile weniger Schüler*innen auf separierenden Förderschulen lernen als in der letzten Untersuchung 2008/09. Die Exklusionsquote hat sich deutschlandweit von 4,9 auf 4,3 Prozent reduziert, wenn man alle Schüler*innen mit den unterschiedlichsten Behinderungen zusammengefasst betrachtet. Wenn man allerdings genauer hinschaut, wird offenbar, dass diese Entwicklung je nach Behinderungsart vollkommen unterschiedlich stattfindet. So gehen prozentual gesehen weniger Kinder mit dem Förderbedarf “Lernen” und “Sprache” auf Förderschulen. Für Kinder und Jugendliche mit Sinnesbehinderungen dagegen hat sich in Sachen Inklusion gar nichts getan: Hier blieb die Quote der Förderschüler*innen unverändert.
Geradezu paradox ist die Entwicklung in den Bereichen „emotionale und soziale Entwicklung“, „geistige Entwicklung“, „körperliche und motorische Entwicklung“, „übergreifende Schwerpunkte“ und „ohne Zuordnung“. Die “Exklusionsquote” ist hier nicht gesunken, sondern sogar gestiegen.
Bildungschancen für Kinder mit Förderbedarf hängen also unter anderem von der Art der Behinderung ab. Interessant ist: In der pädagogischen Diskussion gilt die Inklusion von Kindern mit Körperbehinderung als weitgehend unproblematisch. Trotzdem zeigen die Zahlen, dass gerade dieser Gruppe der Besuch von Regelschulen häufig versagt bleibt.
Bemerkenswert ist außerdem, dass es große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern gibt:
Ob ein Kind mit Behinderung die bestmögliche Bildung erhält, ist also zudem eine Frage des Wohnortes. In Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz sind die Chancen mit Behinderung auf eine Regelschule zu kommen, eindeutig geringer als zum Beispiel in Bremen oder Schleswig-Holstein.
Folgerichtig werden bundesweit einheitliche Qualitätsstandards und bessere Unterstützungssysteme für Lehrer*innen gefordert. Dr. Jörg Dräger stellt klar: „Länder, die bei der Inklusion weit fortgeschritten sind, haben für Lehrkräfte effektive Strukturen etabliert – wie etwa die Zentren für unterstützende Pädagogik in Bremen oder die Förderzentren Lernen in Schleswig-Holstein.“
Die gesamte Studie und Zusatzinfos zum Nachlesen: “Mehr Inklusion von Schülern mit Lernhandicaps”
Dieser Text wurde im Rahmen der Kampagne zum Film
DIE KINDER DER UTOPIE (Hubertus Siegert) erstellt.