Eltern fordern Inklusion in Niedersachsen ein

Im folgenden nun die offenen Briefe zur Inklusion in Hannover und in Niedersachen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Presse konnte man entnehmen, dass die Kultuspolitiker des niedersächsischen Landtages nach der Südtirolreise einhellig die Bilanz ziehen: Behinderte sollen an die Regelschulen! Und dieses zeitnah und mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie es in Südtirol, aber auch in den skandinavischen Ländern seit langem praktiziert wird.

Darüber freuen wir uns.

Mit mindestens eben so großem Interesse und Freude haben wir verfolgt, dass sich der von Frau Drevermann auf unserer Veranstaltung am 17. April im Sprengelmuseum angekündigte „Runde Tisch zur Inklusion" von Stadt und Region Hannover entschlossen hat, Hannover zur inklusiven Modellstadt zu entwickeln. Dies entspricht auch dem Grundgedanken der „Deklaration von Barcelona - Die Stadt und die behinderten Menschen", der die Landeshauptstadt vor nunmehr 5 Jahren beigetreten ist, leider ohne dass sich bildungspolitisch seitdem viel verändert hätte.

Hierzu soll es eine Projekt- und eine Arbeitsgruppe geben (DS der Region Hannover 188/2010 vom 31.3.10):

Die Konzepterstellung wird von einer Projektgruppe begleitet, die bestehen soll aus den beiden Schulträgern, in der zwei Landesvertreter (Kultusministerium, Landesschulbehörde), zwei bis drei Vertreter/-innen der Schulträger und zwei wissenschaftliche Begleiter mitarbeiten werden.

Diese Projektgruppe wird sich zu Teilergebnissen und Einzelfragen in eine Arbeitsgruppe, mit den Sprecherinnen und Sprecher der allgemein bildenden Schulformen, Leiterinnen und Leiter der Förderschulen, Repräsentanten von Regions- und Stadtelternrat, die Behindertenbeauftragten der Stadt Hannover / Region Hannover, ein Sprecher der Privatschulen über die Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände und am Schulleben beteiligten Interessengruppen austauschen.

Um die Qualität der inklusiven Bildung für alle Kinder zu sichern, müssen angemessene Vorkehrungen für eine hochwertige individuelle Förderung getroffen werden. Dazu gehören der Einsatz vorhandener sonderpädagogischer Kompetenzen in den allgemeinen Schulen, die Ausrichtung der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern am Ziel der Inklusion sowie der Aufbau von Unterstützungssystemen unter Einbindung der Schulträger und der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger und Jugendhilfeträger.

Die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems als Teil eines inklusiven Bildungssystems muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Um den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern in Niedersachsen voran zu bringen, ist ein gesellschaftliches Miteinander erforderlich, in dem Menschen mit und ohne Behinderung in ihrer individuellen Unterschiedlichkeit und Vielfalt von Anfang an ihre Rechte selbst bestimmt und gleichberechtigt ausüben können, ohne sich ihr Dazugehören erst verdienen zu müssen.

Sicher kennen Sie das zentrale Motto behinderter Menschen in der aktuellen inklusions-politischen Debatte: „Nichts über uns - ohne uns". Dies gilt auch für die anstehenden bildungspolitischen Veränderungsprozesse. Wir halten es für dringend erforderlich, neben den „am Schulleben beteiligten Interessengruppen" (zu denen wir uns als Förderverein zählen) auch betroffene Eltern, bzw. deren Interessenvertretungen mit in den Planungsprozess einzubeziehen. Gerade wir können über das derzeitige Verfahren zur Integration unserer Kinder und die damit verbundenen Probleme und Defizite berichten und somit konstruktiv mithelfen eine optimale Beschulung für alle Kinder zu erreichen.

Unsere „Grundsätze zur inklusiven Schule" haben wir diesem Schreiben beigefügt.

Mit freundlichen Grüßen

Eine Schule für Alle!

Ute Wrede

 

Offener Brief zur Inklusion in Niedersachsen Hannover, den 08.06.2010

An die Sozialministerin Aygül Özkan

An den Kultusminister Dr. Bernd Althusmann

An den Kultusausschuss des niedersächsischen Landtages

An die Fraktionen des niedersächsischen Landtages z.Hd.

Herrn David McAlister (CDU)

Herrn Wolfgang Jüttner (SPD)

Herrn Christian Dürr (FDP)

Herrn Stefan Wenzel (Bündnis 90/Die Grünen)

Frau Kreszentia Flauger (Die Linke)

Frau Christel Wegner

 

Die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzten - Inklusive Bildung verwirklichen

Sehr geehrte Frau Ministerin Özkan,

Sehr geehrter Herr Minister Dr. Althusmann,

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Presse konnte man entnehmen, dass die Kultuspolitiker des niedersächsischen Landtages nach der Südtirolreise einhellig die Bilanz ziehen: Behinderte sollen an die Regelschulen! Und dieses zeitnah und mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie es in Südtirol, aber auch in den skandinavischen Ländern seit langem praktiziert wird.

Darüber freuen wir uns.

Durch das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" hat sich das Land Niedersachsen wie auch die anderen Bundesländer verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu entwickeln. Dies wird die zentrale Aufgabe für die Bildungspolitik der nächsten Jahre in diesem Land sein.

Die Bildungspolitik der Landesregierung muss sich dabei an den Zielvorstellungen der UNESCO (1) orientieren. Sie muss ein inklusives Schulsystem anstreben, in dem alle Kinder unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sozialen, ethnischen und kulturellen Herkunft, ihren Fähigkeiten, ihren besonderen Lernbedürfnissen gemeinsam und ihrer Vielfalt entsprechend in einer Schule für alle lernen und individuell gefördert werden.

Auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem müssen umgehend Schritte unternommen werden, um den bisher vom Besuch des allgemeinen Schulsystems ausgeschlossenen Kindern mit Behinderungen das Recht auf inklusive Bildung in der wohnortnahen Regelschule zu gewährleisten. Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Selbstbestimmung, gesellschaftliche Teilhabe und Schutz vor Diskriminierung. Dieses Recht muss das Land auch im Schulsystem dringend verwirklichen. Daraus resultierende zusätzliche Leistungen der Kommunen und Kreise müssen vom Land finanziert werden.

Schon zum neuen Schuljahr 2010/11 muss von der Landesregierung in Niedersachsen der individuelle und unmittelbar geltende Rechtsanspruch auf inklusive Bildung für Kinder mit Behinderungen anerkannt und erfüllt werden. Die Landesregierung kann sofort und noch vor der Verabschiedung konventionskonformer Schulgesetze die unteren Schulbehörden und die Kommunen verpflichten, keinem Kind den diskriminierungsfreien Zugang zum Regelschulsystem zu versagen, wenn die Eltern dieses Recht ihres Kindes in Anspruch nehmen wollen. Dazu ist lediglich der entsprechende politische Wille erforderlich.

Der längerfristige Prozess der Umgestaltung des Bildungssystems von der Selektion zur Inklusion muss strategisch durch einen Landesaktionsplan abgesichert werden, der darlegt, in welchen zeitlichen Schritten, mit welchen Maßnahmen und mit welchem finanziellen Mitteln das Ziel eines inklusiven Bildungssystems auf Landesebene erreicht werden soll. Inklusive Schulentwicklung braucht verbindliche landespolitische Vorgaben. Sie darf nicht als "Optionsmodell" dem Ermessen der Schulträger oder den Schulen überlassen werden. Eine politische Bestandsgarantie für das Förderschulsystem ist ebenso wenig zielführend wie die Festschreibung von Formen der äußeren Differenzierung im allgemeinen Schulsystem. Die Beteiligung der Betroffenen bzw. ihrer Vertretungen an dem Umgestaltungsprozess ist unabdingbar.

Um die Qualität der inklusiven Bildung für alle Kinder zu sichern, müssen angemessene Vorkehrungen für eine hochwertige individuelle Förderung getroffen werden. Dazu gehören der Einsatz vorhandener sonderpädagogischer Kompetenzen in den allgemeinen Schulen, die Ausrichtung der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern am Ziel der Inklusion sowie der Aufbau von Unterstützungssystemen unter Einbindung der Schulträger und der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger und Jugendhilfeträger.

Die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems als Teil eines inklusiven Bildungssystems muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Um den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern in Niedersachsen voran zu bringen, ist ein gesellschaftliches Miteinander erforderlich, in dem Menschen mit und ohne Behinderung in ihrer individuellen Unterschiedlichkeit und Vielfalt von Anfang an ihre Rechte selbst bestimmt und gleichberechtigt ausüben können, ohne sich ihr Dazugehören erst verdienen zu müssen.

Sicher kennen Sie das zentrale Motto behinderter Menschen in der aktuellen inklusions-politischen Debatte: „Nichts über uns - ohne uns". Dies gilt auch für die anstehenden bildungspolitischen Veränderungsprozesse. Wir halten es für dringend erforderlich, auch betroffene Eltern bzw. deren Interessenvertretungen mit in den Planungsprozess einzubeziehen. Gerade wir können über das derzeitige Verfahren zur Integration unserer Kinder und die damit verbundenen Probleme und Defizite berichten und somit konstruktiv mithelfen eine optimale Beschulung für alle Kinder zu entwickeln.

Unsere „Grundsätze zur inklusiven Schule" haben wir diesem Schreiben beigefügt.

Mit freundlichen Grüßen

Eine Schule für Alle!

Ute Wrede

 

1. Vgl. Inklusion: Leitlinien für die Bildungspolitik. Deutsche Ausgabe der Policy Guidelines on Inclusion in Education. Bonn: Deutsche UNESCO-Kommission, 2009. ISBN 978-3-940785-12-1

Quelle: Der Brief wurde nach der Vorlage des NRW-Bündnis eine Schule www.nrw-eineschule.de verfasst.

Schlagworte

  • Überregional
  • Inklusive Schule