von Seiten der Lehrerverbände, weil diese eine zu schlechte Personalausstattung in den Schulen befürchten. Jetzt richten sich Elternverbände in einem Brief an alle Lehrerinnen und Lehrer: Sie bitten, Spielräume zu nutzen, mit Augenmaß zu diskutieren und sie bieten ihre Zusammenarbeit beim Einsatz für gute Bedingungen an:
„Inklusion darf nicht scheitern"
Brief der Eltern an die Lehrerinnen und Lehrer in NRW
Seit nunmehr 30 Jahren kämpfen wir Eltern von Kindern mit Behinderung für gemeinsames Lernen und gegen den Zwang zur Sonderschule bzw. Förderschule. Wir kämpfen für das Recht unserer Kinder, in der Mitte der Gesellschaft zu leben - und dort auch aufzuwachsen. Vor mehr als sechs Jahren hat die UNO-Vollversammlung in ihrer Behindertenrechtskonvention dieses Recht auf Inklusion bestätigt. Seit nunmehr vier Jahren ist es für Deutschland rechtsverbindlich. Die Umsetzung jedoch stößt in Deutschland auf große Schwierigkeiten. In Nordrhein-Westfalen beobachten wir ganz unterschiedliche Entwicklungen.
Wir sehen Schulen, in denen Schulleitungen und Kollegien auf der Basis der aktuellen Schulgesetzgebung enorme Anstrengungen unternehmen, um das Gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf qualitativ und quantitativ auszuweiten. Diese Schulen haben dafür Fortbildungen aus ihrem eigenen Ausbildungsetat finanziert. Dadurch haben sie mehr Sicherheit im Umgang mit der sich erweiternden Heterogenität der Schülerschaft und im Speziellen auch mit Kindern mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen gewonnen.
In diesen Schulen nehmen wir wahr, dass unsere Kinder und Jugendlichen als Teil ihrer Klassen- und Schulgemeinde anerkannt sind und nach ihren Möglichkeiten am Schulleben teilhaben dürfen. Ihre Anwesenheit wird als bereichernd empfunden.
Wir nehmen wahr, dass die politischen Gremien vieler Kommunen nicht nur auf neue Gesetze warten, sondern parallel Maßnahmen ergreifen, um das Gemeinsame Lernen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ auszuweiten. Ein Beispiel dafür ist das Einrichten Integrativer Lerngruppen und damit die Beförderung des Gemeinsamen Lernens in der Sekundarstufe. Wir nehmen darüber hinaus wahr, dass Schulträger die Ausweitung des Gemeinsamen Lernens ernst nehmen und dort, wo es aktuell notwendig ist, Barrieren beseitigen. Sie stärken gezielt lokale Bildungsnetzwerke durch personelle und ideelle Begleitung.
Inklusionsbeauftragte werden ernannt. Sie koordinieren erste Prozesse zwischen allgemeinbildenden Schulen und Förderschulen, Schulträgern, Jugendhilfe und anderen Bildungsakteuren und außerschulischen Unterstützungssystemen. Fördermaterialien werden zwischen Förder- und Regelschulen ausgetauscht. Förderpläne werden im Rahmen eines Unterstützerkreises, zu dem Eltern selbstverständlich dazugehören, entwickelt.
Hier sind die ersten Schritte auf dem Weg zum inklusiven Schulsystem schon gegangen.
Doch es gibt in Nordrhein-Westfalen häufig auch eine andere Realität:
Es gibt viele Orte und Schulen, wo Eltern von Kindern mit Behinderung verzweifeln, wenn sie für ihr Kind das Gemeinsame Lernen wünschen. Während anderswo Inklusion möglich gemacht und die Kinder angenommen werden, müssen Eltern hier als Bittsteller auftreten. Sie werden einseitig und oft sonderinstitutionsbezogen beraten, ihr Kind wird als Sorgenkind wahrgenommen. Schulen verschließen ihre Türen vor den Kindern, weil sie zum Beispiel nicht sicher sind zusätzliche personelle, finanzielle oder sächliche Unterstützung zu bekommen. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden in Sonderschulen abgeschult. Schulträger weigern sich, gemeinsames Lernen einzurichten. Sie verweisen auf Haushaltsnöte und meinen weder die sächlichen noch die räumlichen Bedingungen sicherstellen zu können. Hier wird ein Menschenrecht nach Kassenlage behandelt. Kaum jemand stellt sich offen gegen Inklusion. Sie sei nur „unter den aktuell gegebenen Bedingungen nicht zu verantworten" (GEW, 03.02.2013).
Lehrerinnen und Lehrer werden sogar von ihrem Verband angehalten sich zu verweigern. Sie sollen das Land NRW auffordern, den „"wilde"(n) Inklusionsprozess" auszusetzen (ebd.).
Wir Eltern von Kindern mit Behinderung erleben Nordrhein-Westfalen als ein gespaltenes Land: Zwischen Kommune und Nachbarkommune, zwischen Landkreis und Nachbar-Landkreis. Zwischen Menschen in Schulen, Verwaltung und Politik, die jeden Spielraum für Inklusion nutzen und Menschen, denen bei der Umsetzung des Menschenrechts unserer Kinder alles zu viel, zu schnell, zu teuer ist.
Wir erleben in Nordrhein-Westfalen ein akzeptierendes, Wege suchendes Land, das sich wahrhaftig Gedanken darum macht, wie der Inklusionsprozess qualitativ und quantitativ vorangetrieben werden kann. Ein Land, das perspektivisch ein inklusives Bildungssystem entwickeln will, das alle Kinder und Jugendlichen, aber auch alle Lehrerinnen und Lehrer und alle Eltern willkommen heißt und als Bereicherung empfindet.
Wir erleben aber auch ein Land, das von Sorge getrieben wird und nach Gründen sucht, den Anforderungen der Inklusion aus pädagogischen oder finanziellen Gründen nicht gerecht werden zu können. Ein Land, das perfekte Bedingungen sucht, bevor es bereit ist sich auf den Weg zu machen.
Wir Eltern von Kindern mit Behinderung wollen gute Bildung in inklusiven Schulen. Zu guter Bildung gehört für uns unbedingt das selbstverständliche Zusammenleben und Zusammenlernen mit allen anderen Kindern. Die Sonderwelt der Förderschulen ist für unsere Kinder keine akzeptable Alternative. Wir sind aufgebracht, wenn Andere behaupten, Inklusion sei „nicht verantwortbar", so lange Bedingungen nicht perfekt sind.
Inklusion „auszusetzen" heißt, sie hier und heute unseren Kindern zu verweigern. Denn unsere Kinder besuchen jetzt die Schulen, sollen jetzt Teil der Gemeinschaft sein, müssen jetzt ihr Leben in Gemeinschaft leben lernen.
Das Gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung unterliegt seit mehr als 30 Jahren der Beliebigkeit von Schulen, Schulaufsichtsbeamten und Schulträgern. Ob Kinder mit Behinderungen Teil dieser Gemeinschaften werden konnten, lag in erster Linie daran, ob sie am „richtigen" Ort wohnten. Das darf nicht länger so sein!
Wir wünschen uns die Gemeinsamkeit.
Wir wünschen uns, dass Sorgen und Ängste vor Veränderungen in den Schulen mit allen Beteiligten offen und lösungsorientiert diskutiert werden.
Wir wünschen uns die gemeinsame, lösungsorientierte Suche nach Wegen zur Inklusion.
Wir wünschen uns, gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern für gute Bedingungen in den Schulen einzutreten.
Wir fordern auf politischer Ebene klare Signale, dass das Menschenrecht unserer Kinder auf Teilhabe in einem inklusiven Bildungssystem rechtlich und ganz praktisch in den Kommunen vor Ort garantiert wird.
Wir fordern, dass den Schulen alle Unterstützung zuteil wird, die sie benötigen, um sich ihrer pädagogischen Arbeit mit allen Kindern widmen und qualitativ hochwertige Bildungs- und Erziehungsprozesse initiieren zu können.
Den Schulen und den Lehrerinnen und Lehrern bieten wir unsere Zusammenarbeit, unser Wissen und unsere Netzwerke an: Eltern verfügen über enorme Ressourcen, die wir derzeit investieren müssen, um die Rechte unserer Kinder zu erkämpfen. Wir würden sie viel lieber anders nutzen und vor Ort mitwirken, damit Schulen zu einem Abbild unserer bunten Gesellschaft werden können.
Unterzeichner:
Gemeinsam leben - gemeinsam lernen Olpe plus e.V.
Schule für Alle e.V. Hennef
mittendrin e.V. Köln
Elterninitiative Inklusion Bornheim
Gemeinsam leben - Gemeinsam lernen Pulheim
Gemeinsam leben - Gemeinsam lernen Aachen e.V.
Gemeinsam Leben Lernen e.V. Hilden
Initiativkreis Gemeinsame Schule Wuppertal
Elternvereinigung ABH VoG Ostbelgien
Mittendrin-Hürth e.V.
Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen Dorsten
Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen Kreis Borken
INVEMA e.V. Kreuztal
Gemeinsam leben lernen e.V. Düsseldorf
Elterninitiative Inklusion im Kreis Warendorf
Gemeinsam leben - Gemeinsam Lernen Brühl
Elterninitiative für besondere Kinder, Oberberg
Gemeinsam leben - gemeinsam lernen Bonn e.V.
Gemeinsam leben und lernen Mönchengladbach