"Neuausrichtung": Ein leeres Versprechen

Vor einem Jahr ist die neue NRW-Landesregierung angetreten mit dem Versprechen, nicht nur die Sonderschulen sämtlich zu erhalten, sondern auch bei der Inklusion alles besser zu machen. Von einem fundierten Konzept war die Rede, für bessere Qualität und für mehr Personal. Was folgte, war zunächst ein komplettes Jahr des Schweigens.

Für die inklusive Bildung war das nicht nur ein verlorenes Jahr, sondern ein Jahr der Rückentwicklung. Unter dem Eindruck der vergangenen heftigen politischen Auseinandersetzung um Inklusion hat sich an den Schulen deutlich spürbar die Stimmung breit gemacht, dass sich die Inklusion ohnehin bald erledigt habe.

Jetzt also, am 6. Juli 2018, stellte die Ministerin ihre Eckpunkte zur "Neuausrichtung" der schulischen Inklusion vor, mit der Ankündigung, nun gebe es "eindeutige Qualitätskriterien und zusätzliche Ressourcen". 'Qualität ' und 'Ressourcen' - das sind geeignete Schlagworte, wenn man good news für die Öffentlichkeit präsentieren will. Ein anderes Bild entsteht, wenn man sich mit den Einzelheiten des Maßnahmenpakets beschäftigt. So meldete sich der Elternverband und Inklusionsfachverband Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen NRW sofort mit heftiger Kritik zu Wort: diese "Neuausrichtung" der Inklusion stärke allein die Sonderschulen. Auch die Landesschüler*innenvertretung und die Bildungsgewerkschaft GEW protestierten. Zu Recht. Mit einer Politik, die Nordrhein-Westfalens Schullandschaft - vielleicht schrittweise - aber konsequent für inklusive Bildung ertüchtigt, hat diese "Neuausrichtung" nichts zu tun.

Zwar gibt es nun "Qualitätskriterien" für Gemeinsames Lernen an weiterführenden Schulen (eine Begrenzung der Klassengröße und mehr Personal), aber mit diesen Verbesserungen will das Schulministerium erst im Sommer 2019 beginnen, und dann auch nur für die 5. Klassen. Auch soll es sich bei der personellen Verstärkung keineswegs um Sonderpädagogen handeln, auch nicht zwingend um Lehrer. Statt dessen sollen die Lücken vor allem mit nicht-lehrendem Personal gestopft werden. Selbst das ist jedoch ungewiss. Denn wie allen Beteiligten klar ist, fehlt es auf dem Arbeitsmarkt nicht nur an Lehrern. Auch Sozialarbeiter und Sozialpädagogen sind schlichtweg nicht zu bekommen. Die angekündigten "zusätzlichen Ressourcen" sind absehbar ein leeres Versprechen.

Ganz anders geht die Schulministerin mit den Sonderschulen um. Im Peronalverteilungserlass für das jetzt beginnende Schuljahr ist festgelegt, dass Sonderschulen ab sofort keine Lehrer mehr fürs Gemeinsame Lernen abgeben müssen. Sie bekommen wieder einen eigenen Kostentitel im Landeshaushalt und eine garantierte Sonderpädagogenversorgung nach Zahl ihrer Schüler. Damit nicht genug, werden fürs kommende Schuljahr noch zusätzlich 930 Stellen für "Mehrbedarfe" geschaffen, sämtlich Sonderpädagogen.

Berücksichtigt man außerdem, dass Gebauer die Zahl der weiterführenden inklusiven Schulen unter dem Schlagwort einer "Bündelung" deutlich reduzieren will (von derzeit über 1000 auf absehbar zwei Drittel oder sogar die Hälfte), dann wird klar: Im Vergleich zu den Personalbeschlüssen für die Sonderschulen sind die angekündigten "zusätzlichen" Ressourcen fürs Gemeinsame Lernen ein Butterbrot - von der Zahl ebenso wie von der Fachlichkeit. Das vorhandene Personal wird für die Exklusion reserviert und für die Inklusion werden dann halt - pardon für die böse Formulierung - die Reste zusammengekehrt.

Für eine genauere Analyse der Eckpunkte verlinken wir hier den Text unseres Partnervereins: Gemeinsam leben - gemeinsam lernen Olpe plus e.V.

Auch die "strengen Qualitätskriterien" für Gemeinsames Lernen in der Sekundarstufe halten einer näheren Betrachtung nicht stand. Anstatt selbst etwas zu tun, wälzt das Schulministerium den Reformbedarf auf die einzelnen Schulen ab. Sie sollen ein Konzept für Inklusion haben. Aber für dessen Erarbeitung gibt es Unterstützung nur "gegebenenfalls von der Schulaufsicht". Sie sollen dafür sorgen, dass das Kollegium fortgebildet ist. Aber von Geld für die Schulungen, von Zeitressourcen für Fortbildung, von einem fundierten Fortbildungskonzept ist nicht die Rede. Zudem sollen die Schulen barrierefrei sein und "Differenzierungsräume" bieten. Ja, und was ist, wenn sie diees nicht haben?

Wie soll dann der Rechtsanspruch der Schüler*innen mit Förderbedarf faktisch erfüllt werden? Wenn die Wege noch weiter werden und niemand einen Fahrdienst bezahlen will? Gilt der Rechtsanspruch noch deutlicher als bisher nur für Schüler*innen mit durchsetzungsfähigen Eltern, die noch dazu genug Zeit haben, sechs Jahre lang Elterntaxi zu spielen?

Aus der Pressemitteilung des Elternvereins mittendrin e.V.:

Darüber hinaus enthalten die Eckpunkte nicht den Hauch einer Perspektive, wie die inklusive Bildung in Nordrhein-Westfalen in guter Qualität aufgebaut werden soll. Nach einem Jahr Schweigen zu diesem Thema hätten wir Zukunftsweisendes erwartet. Statt dessen kommen nur Maßnahmen zur Verwaltung des Mangels wie die Bündelung von inklusiven Schulen oder die offenbar von der bayerischen Schulpolitik abgeguckten Förderschulgruppen an allgemeinen Schulen.

Mit einem Elternwahlrecht auf die Art der Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung hat diese Politik nichts zu tun. So lange die Landesregierung den meisten Familien mit behinderten Kindern keinen inklusiven Schulplatz ordentlicher Qualität anbieten kann, kann von einem Wahlrecht keine Rede sein.

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