Bildung
1. Die schulische Inklusion in NRW hat die meisten Schülerinnen* mit Behinderung (im Sinne der UN-BRK) noch gar nicht erreicht. Abgesehen vom Förderschwerpunkt Lernen ist die Zahl der Schülerinnen* in Förderschulen je nach Förderschwerpunkt kaum oder gar nicht gesunken. Die Landesregierung ist nach der UN-BRK und nach dem Schulgesetz des Landes NRW in der Pflicht, allen Schülerinnen ein qualitativ angemessenes inklusives Schulangebot in Wohnortnähe bereit zu stellen, anstatt darauf zu warten, dass Eltern dies vor Ort im Einzelfall einfordern.
2. Die Qualität inklusiver schulischer Bildung ist vielerorts an den Schulen in NRW noch bei weitem nicht so entwickelt, dass Schülerinnen* mit Behinderung ihr Recht auf inklusive Bildung verwirklichen können. Neben Defiziten bei der personellen und sächlichen Ausstattung fehlt es vor allem an inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung, an strukturierter Fortbildung und Bewusstseinsbildung des gesamten Kollegiums und der Schulgemeinschaft. In Folge dessen wird das Recht auf inklusive Bildung im Einzelfall immer wieder in Frage gestellt und relativiert.
3. Seit Beginn der inklusiven Entwicklung der Schulen in NRW steigt die Zahl der festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfe stetig von Jahr zu Jahr. Obwohl es keine Hinweise auf eine allgemeine Intelligenzminderung in der Bevölkerung gibt, werden dabei auch immer mehr Schülerinnen* zieldifferenten Förderschwerpunkten „Lernen“ und „Geistige Entwicklung“ zugeordnet, mit gravierenden Auswirkungen auf deren Bildungsplan, deren Chance auf einen Schulabschluss und deren Chancen im weiteren Lebensverlauf. Diese Entwicklung muss dringend überprüft werden.
Maßnahme zu 1: Das MSB legt für die Schulen einen Inklusionsplan vor, der anhand von terminierten Maßnahmen und Benchmarks den Aufbauprozess zu einem flächendeckenden wohnortnahen Angebot qualitativ angemessener inklusiver Bildung für alle Schülerinnen* mit Behinderung darlegt.
Maßnahme zu 2: Das MSB etabliert zur Förderung der inklusiven Bildung ein System der Steuerung im Sinne eines Changemanagements. In diesem Rahmen unterstützt das Ministerium die Schulen nicht nur durch eine bedarfsgerechte Personal- und Ressourcensteuerung, sondern installiert darüber hinaus eine verbindliche Steuerung der inklusiven Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie der Fortbildung der Kollegien.
Maßnahme zu 3: Das MSB ergreift zügig Maßnahmen, die Praxis des Feststellungsverfahrens nach AO-SF zu überprüfen und ggf. neu zu ordnen, mit dem Ziel allgemein-pädagogische Förderbedarfe deutlicher von sonderpädagogischen Förderbedarfen zu trennen. Das Ministerium entwickelt ein mittelfristiges Konzept, die Ressourcenausstattung der inklusiven Schulen von amtlichen Feststellungsverfahren zu entkoppeln.
Freizeit, Kultur, Sport
1. Jugendliche mit Behinderung leiden unter stark eingeschränkten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und einem eklatanten Mangel an selbstbestimmten Kontakten mit Gleichaltrigen. Um dies zu verbessern, muss die Jugendarbeit in den Bereichen Freizeit, Kultur und Sport in der Breite angeregt werden, sich inklusiv zu entwickeln und Jugendliche mit Behinderung einzubeziehen.
2. Menschen mit Behinderung sind von einer allgemein selbstverständlichen Teilhabe an Kulturveranstaltungen immer noch ausgeschlossen, weil viele Anbieter nicht das Wissen, die Mittel oder das Bewusstsein haben, gute Vorkehrungen für Barrierefreiheit zu treffen.
Maßnahme zu 1: Die Landesregierung und das MFKJKS versehen die Vergaberichtlinien für allgemeine und projektgebundene öffentliche Förderung im Bereich von Jugendarbeit, Jugendkultur und Jugendsport mit einem generellen regelhaften prozentualen Auszahlungsvorbehalt, der an wirksame Vorkehrungen für Inklusion und Barrierefreiheit gebunden ist.
Maßnahme zu 2: Die Landesregierung und das MFKJKS versehen die Vergaberichtlinien für die öffentliche Kulturförderung mit einem generellen regelhaften prozentualen Auszahlungsvorbehalt, der an wirksame Vorkehrungen für Inklusion und Barrierefreiheit gebunden ist.
Maßnahme zu 2: Das MFKJKS legt ein Förderprogramm auf, um modellhaft partizipative Beratungsangebote für Inklusion und Barrierefreiheit im kulturellen Raum zu erproben.
Bewusstseinsbildung
Die inklusive Bildung wird in weiten Teilen der Öffentlichkeit, des politischen Betriebs und des Schulwesens immer noch – entgegen der UN-BRK und dem Schulgesetz des Landes NRW – als individuell anzuwählende und der Sonderbeschulung allenfalls gleichwertige Alternative gesehen und oft genug in Abhängigkeit von Art und Schwere der Behinderung gesetzt. Der menschenrechtliche Gehalt der Inklusiven Bildung und der menschenrechtliche Auftrag an alle Ebenen von Staat und Verwaltung werden oft nicht erkannt.
Maßnahme: Das MSB und die Landesregierung betreiben intern ebenso wie in der Öffentlichkeit Bewusstseinsbildung im Sinne von Artikel 24 UN-BRK, in Form von Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, Fortbildungen, Kampagnen und einem inklusiven Mainstreaming der schulpolitischen Information.
Vulnerable Gruppen nach DIMR
1. Menschen mit geistiger Behinderung bleiben derzeit auf allen Feldern der inklusiven Entwicklung weit zurück, insbesondere bezogen auf die Teilhabe an inklusiver Bildung, Ausbildung, Arbeitswelt sowie Freizeit und kulturellem Leben.
2. Schülerinnen* aus Migrantenfamilien sowie geflüchtete Schülerinnen* werden bei Schulschwierigkeiten deutlich öfter einer sonderpädagogischen Förderung und zieldifferenten Bildungsgängen zugeordnet und überproportional häufig an Förderschulen unterrichtet.
Maßnahme zu 1: Die Ministerien, insbesondere MSB, MAGS, MFKJKS legen Maßnahmenpläne vor, wie die Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung am Inklusionsprozess deutlich verbessert werden kann.
Maßnahme zu 2: Das MSB stellt sicher, dass Migranten ggf. auch muttersprachlich ausführlich über das bundesdeutsche Schulsystem informiert und über die schulrechtlichen Konsequenzen zieldifferenter Förderung aufgeklärt werden. Ein entsprechender Leitfaden ist verlässlich sämtlichen Familienzentren, Familienberatungsstellen und Beratungsstellen für Migranten zur Verfügung zu stellen und mit Schulungsangeboten für die Beraterinnen* zu verstärken.
Maßnahme zu 2: Das MSB legt eine Neufassung des § 17 AO-SF vor, in der für Schülerinnen* zieldifferenter Bildungsgänge über die jährliche Überprüfung hinaus alle zwei Jahre der Förderbedarf unabhängig überprüft wird.
Sonstiges, hier: Themenfeld Berufsorientierung und Übergang Schule/Beruf
1. Seit vier Jahren haben Schülerinnen* mit geistiger Behinderung das Recht, den Bildungsgang Ausbildungsvorbereitung (AV) der Berufskollegs zu besuchen. Das Angebot ist jedoch kaum bekannt und wird nur in Ausnahmen genutzt.
2. Für die meisten Schülerinnen* mit körperlichen und geistigen Behinderungen ist immer noch die WfbM der einzige Weg im Übergang Schule/Beruf. Ein Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt gelingt in der Regel weder anstatt noch durch die Hilfe der WfbM.
3. Bei der Berufsorientierung an den Schulen des Gemeinsamen Lernens nach KAoA und KAoA/STAR werden Schülerinnen* mit und ohne Behinderung immer noch von unterschiedlichen Trägern versorgt und getrennt unterstützt.
Maßnahme zu 1: Das MSB stellt sicher, dass die inklusive AV in allen Schulamtsbezirken verfügbar ist und sorgt dafür, dass alle Schulen und alle betroffenen Schülerinnen* über den Bildungsgang informiert sind.
Maßnahme zu 2: Das MAGS trifft eine Vereinbarung mit der Regionaldirektion über einen beschleunigten Aufbau der sonstigen Leistungsanbieter, in der eine Verzahnung des Berufsbildungs- und des Arbeitsbereichs sichergestellt und ein Vorrang des Reha-Auftrags im Sinne der Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt implementiert wird.
Maßnahme zu 3: MAGS und MSB nehmen das Vorhaben wieder auf, für Schulen des Gemeinsamen Lernens ein gemeinsames, differenziertes und inklusives Berufsorientierungsprogramm für alle Schülerinnen* einzurichten.
Politische und zivilgesellschaftliche Partizipation
1. Es gelingt in der Gremienarbeit nicht durchgängig, alle wesentlichen Betroffenengruppen partizipativ in die Beratungsprozesse einzubeziehen. Zum Teil ist nicht für angemessene Vorkehrungen gesorgt (z.B. Gebärdensprachdolmetscher, z.B. Beratungs- und Beschlussunterlagen in leichter/einfacher Sprache, Übersetzung in leichte/einfache Sprache). Zum Teil ist nicht sicher gestellt, dass Betroffene sich selbst vertreten.
2. Die Vertreterinnen* der Zivilgesellschaft sind in der Gremienarbeit weiter strukturell benachteiligt, z.B. durch zeitliche Vorgaben und Fahrtkosten.
3. Die Fachbeiräte des Inklusionsbeirates des Landes NRW arbeiten seit Beginn der Legislaturperiode in sehr unterschiedlicher Qualität. So hat z.B. der Fachbeirat inklusive schulische Bildung im vergangenen Jahr gar nicht getagt, während der Fachbeirat Partizipation auch unter Corona-Bedingungen drei Mal getagt hat. Zudem hatte der Fachbeirat inklusive schulische Bildung in 2019 in drei Sitzungen nicht die Möglichkeit, die Landesregierung im Vorfeld von Entscheidungen zu beraten, sondern konnte nur bereits getroffene Entscheidungen kommentieren.
Maßnahme zu 1: Die Landesregierung verpflichtet sich dafür zu sorgen, dass in allen Partizipationsprozessen die angemessenen Vorkehrungen vorgehalten werden und achtet speziell darauf, dass alle wesentlichen Betroffenengruppen eingeladen sind und teilhaben können.
Maßnahme 2: Die Landesregierung trifft Regelungen, dass ehrenamtliche Mitglieder der Partizipationsgremien Fahrtkostenerstattung und Vierdienstausfall geltend machen können. Die Sitzungsplanung hat auf die zeitliche Verfügbarkeit ehrenamtlicher Mitglieder bei der Terminierung ebenso wie bei der Bereitstellung der Sitzungsunterlagen Rücksicht zu nehmen.
Maßnahme 3: Der Inklusionsbeirat präzisiert seine Geschäftsordnung in Bezug auf die Aufgabe der Fachbeiräte. Fachbeiräte sollten mindestens halbjährlich tagen. Sie sind im Vorfeld von Entscheidungen zu beteiligen und nicht erst danach. Die Fachbeiräte protokollieren ihre Beratungen und kommen der Aufgabe nach, Vorlagen für den Inklusionsbeirat zu erarbeiten und abzustimmen.