Praxistest "Elternwahlrecht" #3

Wenn's um Inklusion in der Schule geht, sind Viele Anhänger eines "Elternwahlrechts". Und die konstanten Anmeldezahlen an den Sonderschulen dienen oft als Beleg, dass Eltern Inklusion gar nicht wollten.

Aber ist die Anmeldung an der Sonderschule wirklich Ausdruck einer freien Wahl? Wir gehen dieser Frage jetzt in einer kleinen Serie nach. Fall #3 kommt aus Berlin und behandelt die Schulwahl für Uma, über deren Familienleben ihre Mutter Tabea Hosche zwei Selbstportraitfilme für die WDR-Sendereihe „Menschen hautnah“ gedreht hat.    

Die Möglichkeiten, die es geben soll, die gibt es in der Realität nicht  

Welche Schule für Uma? Also, wir waren erstmal in jede Richtung offen. Beim Entwicklungstest in der Charité hatte der Mitarbeiter dort eine Empfehlung abgegeben, Uma in eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen zu geben und nicht in eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. Ihr erstmal viel zutrauen und sie vielleicht sogar ein bisschen überfordern, statt sie evtl. zu unterfordern, das war sein Ratschlag.

Nach dem Gespräch machten wir uns erstmal auf, Schulen anzuschauen, die inklusiv arbeiten   Wir haben vom Amt eine Liste mit allen Schulen in unserem Bezirk bekommen und auch auf Empfehlungen aus unserem privaten Netzwerk hin einige Inklusionsschulen angesprochen. Mehrere haben gleich gesagt, dass sie voll sind und keine Plätze mehr zu vergeben haben. Mit zwei Schulen sind wir näher in Kontakt gekommen und haben uns dort vorgestellt. Aber da haben wir festgestellt, dass sie Uma offenbar zu schwer beeinträchtigt fanden und lieber die weniger stark behinderten Kinder nehmen. Ein Thema war, dass sie noch gewickelt wurde und das fanden die Schulen ein großes Problem. Wir wussten ja nicht, dass sie bis zur Einschulung noch lernen würde, auf die Toilette zu gehen. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass es ja nur eine Frage der Zeit ist, bis Uma lernt, auf Toilette zu gehen. Aber das war im Bewerbungsverfahren egal, ihr Schulbesuch ausgeschlossen.

Originaltöne aus dem Film "Uma und wir", WDR Menschen hautnah, 8.3.2018  

Timecode 8`50`` Telefonat mit Schule A

Mutter: Die Charité hat uns ans Herz gelegt, sie in die inklusive Schule zu tun und ich staune so...

Lehrerin: Ja

Mutter: ...wenn sie den Schwerpunkt Geistige Entwicklung abdecken, welche Kinder sind denn dann gemeint...

Lehrerin: Ja

Mutter: … wenn nicht Uma...

Lehrerin: Ja. Ja.

Mutter... das versteh ich nicht.

Lehrerin: Ja. Das Problem ist Folgendes: Die Politik schreibt das jetzt auf ihre Fahnen, aber wo sind da die unterstützenden Maßnahmen dafür, dass wir das eben auch bewerkstelligen können...        

Der Kontakt mit den Inklusionsschulen war zeitweise merkwürdig. Wir mussten feststellen, dass es in Bezug auf die Inklusion zwei Versionen gibt. Die Eine ist die offizielle Version, die in den Broschüren steht, nach der unsere Kinder ein Recht auf Inklusion haben und in den Inklusionsschulen gut aufgehoben sind. Und die Andere ist die reale Version, die man von den Schulen auch direkt gesagt bekommt und dann wird schnell klar: Die Möglichkeiten, die es geben soll, die gibt es in der Realität gar nicht. Ich dachte, mit den Schulen könnte man sich konstruktiv beraten, ob Uma dort gut zurecht kommen könnte, aber statt dessen wurde da eher ein Verteidigungswall aufgebaut und man bekam sehr schnell vermittelt, dass man von Schulseite aus nicht als passend empfunden wird.    

Timecode 9.20 Telefonat mit Schule B

Lehrerin: … wird das Kind noch mal diagnostiziert und dann wird entschieden wo sie hinkommen soll..

    So hat sich das bei uns relativ bald in Richtung Förderschule gedreht. Wir haben viel geredet mit der heilpädagogischen Erzieherin in der integrativen Kita und mit Umas Logopädin, zu der wir auch ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis haben. Und wir waren uns alle einig, dass Uma von ihrer Persönlichkeit her in einer großen Klasse, eventuell noch als einziges Kind mit Behinderung, dass sie da untergehen und sich ausklinken würde, dass sie einfach mehr Aufmerksamkeit braucht, weil sie sehr zurückhaltend ist und eben auch durch ihre Sprachentwicklungsstörung Probleme hat, sich mitzuteilen und ihre Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt ja nicht für alle Kinder mit Beeinträchtigung. Andere kommen sicher auch in einer großen Klasse zurecht. Uma wäre sicherlich nicht negativ aufgefallen. Aber hätte sie etwas von der inklusiven Beschulung gehabt? Das war unsere Frage.

  Timecode 9.30 Telefonat mit Schule C

Lehrerin: … wie gesagt das wird ja alles gesteuert über das Amt, über die Frau Klug...      

Wir haben von verschiedenen Seiten gehört, dass es große Schwierigkeiten in den Schulen gibt mit der Umsetzung der Inklusion. Dass Schulhelferstunden fehlen, die Kinder dann doch häufig auf sich allein gestellt sind, dass Lehrer die Inklusionskinder einfach in die Klasse gesetzt bekommen, darauf aber nicht vorbereitet sind oder das auch gar nicht wollen. Wir haben mit Erziehern, Therapeuten, Einzelfallhelfern und anderen Eltern gesprochen.

So hat sich das Bild dann zusammen gesetzt. Auch durch Zufälle: Auf dem Spielplatz haben wir zum Beispiel einmal einen Schulhelfer kennen gelernt, der uns erzählt hat, wie schlecht die Situation ist. Und als wir am Tag der offenen Tür die staatliche Förderschule unseres Bezirks angesehen haben, sind wir dort mit einer Regelschullehrerin ins Gespräch gekommen. Die erzählte uns, dass sie im kommenden Schuljahr Inklusionskinder in ihre Klasse bekommt und nicht weiß, was sie mit ihnen machen soll. Sie wollte sich an der Förderschule ein paar Anregungen holen. Das fand ich irgendwie rührend, aber auch bezeichnend für die schwierige Situation, dass diese Lehrerin anscheinend noch keine Fortbildung bekommen hat und sich jetzt hier auf eigene Faust zu informieren bemüht. Sie riet uns im persönlichen Gespräch am Rande der Veranstaltung dann auch, unser Kind in die Förderschule zu geben. Denn sie sei beeindruckt, wie viel Förderung an dieser Schule möglich sei. Das könne sie in der Regelschule auf keinen Fall leisten. So etwas bringt einen schon zum Nachdenken.  

Timecode 9.35 Telefonat mit Schule D

Mutter: … und falls sie nächsten Sommer immer noch gewickelt würde, würden Sie sie nicht aufnehmen in ihre Schule. Ist doch richtig...?

Lehrerin: Ja

Mutter: … oder habe ich das...

Lehrerin: ... das ist wirklich schwer, weil wir sind dafür nicht ausgestattet, das geht nur über Personal, Umbauten, sanitäre Anlagen, Sanieren und und und. Und das können wir jetzt hier nicht machen und da wird sich auch nichts ändern so schnell...    

Uma ist jetzt in der zweiten Klasse einer privaten Waldorf-Förderschule und wir sind sehr froh über diese Entscheidung. Uma lernt dort sehr gut und wir staunen immer über ihre Fortschritte beim Schreiben und Lesen. Aber was vielleicht noch wichtiger ist: Uma ist viel selbstbewusster geworden in dieser Zeit. Sie spricht mehr, traut sich auch im Umgang mit anderen Kindern mehr zu. Stand sie früher oft am Rand und beobachtete nur, was die anderen Kinder machen, so geht sie jetzt oft offensiv auf sie zu und spielt auf ihre Art mit. Erstaunlich, woher sie dieses Selbstvertrauen plötzlich hat! Ihre Klassenlehrerin ist eine sehr erfahrene Förderschullehrerin. Sie sagte letztens, sie mache öfter die Erfahrung, dass Kinder in der Förderschule Selbstbewusstsein entwickeln. Das deckt sich mit unserer Erfahrung: Uma tut es offensichtlich sehr gut, dass sie jetzt in einer Gruppe auf Augenhöhe mit den anderen ist.  

Vater von Uma

Berlin

 

Link zum Film "Uma und ich - Glück, Schmerz und Behinderung"

Link zum Film: "Uma und wir"

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