UNO: Deutschland soll Sonderschulen abbauen

Betroffenenverbände und Menschenrechts-Experten kritisieren schon lange, dass Deutschland mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) nur äußerst schleppend voran kommt.

Jetzt hat Ende März der UN-Fachausschuss für die BRK selbst geprüft - und am 17. April das Ergebnis vorgelegt, die "concluding observations". Sie liegen leider nicht als amtliche Übersetzung auf deutsch vor, sondern nur in der UNO-Amtssprache englisch. Es gibt jedoch eine erste Übersetzung der Monitoring-Stelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die UNO-Experten sind besorgt, dass ein so reiches und gut organisiertes Land wie Deutschland bei der Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderung so zögerlich und wenig strukturiert vorgeht. In vielen Bereichen liegen keine handhabbaren Aktionspläne vor, sind Gesetzesänderungen nicht einmal angefasst und werden strukturelle Hindernisse nicht beraten.

Zur Umsetzung des Artikel 24 UN-BRK, der den Aufbau eines inklusiven Bildungssystems fordert, äußert sich der Fachausschuss besorgt darüber, dass immer noch die Mehrheit der SchülerInnen mit Behinderung Sonderschulen besuchen und es dem Bund nicht gelingt auf die Länder einzuwirken, damit die schulische Inklusion gewährleistet ist.

 

 

Der UN-Fachausschuss empfiehlt Deutschland nun dringend

- sofort Maßnahmen zu ergreifen, um ein inklusives Bildungssystem in allen Bundesländern zu durchzusetzen

- die Förderschulen abzubauen, um Inklusion zu ermöglichen, und unmittelbar allen SchülerInnen mit Behinderung den Weg in die allgemeine Schule zu ermöglichen,

- die Schulen entsprechend auszustatten,

- und die Lehrerausbildung zu reformieren.

Die Empfehlungen zu Artikel 24 UN-BRK (inklusive Bildung) im englischen Original:

Education (art. 24)

45.The Committee is concerned that the State party has an education system where the majority of students with disabilities attend segregated special-needs schools.

46. The Committee recommends that the State party:

(a) Immediately develop a strategy, action plan, timeline and targets to provide access to a high quality inclusive education system across all Länder, including the required financial resources and personnel at all levels;

(b) Scale down segregated schools to facilitate inclusion, and recommends that the law and policies uphold the duty that mainstream schools enroll children with disabilities with immediate effect if that is their choice;

(c) Ensure reasonable accommodation is provided at all levels of education, and be legally enforceable and justiciable before the courts;

(d) Ensure training of all teachers in inclusive education and increased accessibility of the school environment, materials and curricula, and the provision of sign language in mainstream schools, including at the post-doctoral level.

 

Die Elternvereine für inklusive Bildung in Nordrhein-Westfalen (Gemeinsam Leben, Gemeinsam Lernen e.V. NRW und mittendrin e.V.) begrüßten, dass der UN-Fachausschuss in seinen Empfehlungen einige Dinge klargestellt hat. "Jetzt sollte endgültig klar sein, dass ein inklusives Bildungssystem nicht entstehen kann, wenn das heute existierende Förderschulsystem bestehen bleibt", sagte die Vorsitzende des mittendrin e.V., Eva-Maria Thoms.

Auch finanzielle Gründe könnten nicht mehr als Begründung herhalten, dass es mit der inklusiven Bildung so schleppend vorangeht. Schon beim Prüfungstermin im März hatte die UN-Berichterstatterin für Deutschland, Diane Kingston, betont, dass ein so reiches Land wie Deutschland wenig glaubwürdig sei, wenn es auf finanzielle Gründe verweist.

Die UN-Ausschuss erwartet von Deutschland, sofort eine Strategie mit Zeitzielen zu entwickeln, um ein inklusives Bildungssystem in hoher Qualität zu schaffen - und zwar verbindlich und einklagbar in allen Bundesländern. Dazu gehört auch, das sagt der Ausschuss ganz klar, der Abbau des Sondersystems - "scale down segregated schools", um Inklusion überhaupt erst zu ermöglichen.

"Das ist auch eine Rüge für die Landesregierung", kommentiert Claudia Heizmann, Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg "Gemeinsam leben - gemeinsam lernen" die klaren Worte aus Genf. "Denn zeitgleich zur Erklärung des UN-Fachausschusses plant die Landesregierung unverdrossen weiterhin ein Schulgesetz, in dem von einem Abbau des Sonderschulsystems nicht die Rede ist." Es findet sich darin auch keine Spur eines gesteuerten Tranformationsprozesses weg von der Separation hin zur Inklusion. Heizmann: "Damit bleibt Baden-Württemberg weit hinter den Vorgaben aus Genf zurück. Niemand kann jetzt noch sagen, er habe das bei der Gesetzesnovellierung nicht gewusst!"

Die Empfehlungen des UN-Fachausschusses stoßen auch auf große Zustimmung bei den Organisationen der Zivilgesellschaft in der sogenannten BRK-Allianz. "Wir begrüßen die deutlichen Worte zur Abkehr von den Sonderwelten", betont heute Dr. Sigrid Arnade, Sprecherin der Allianz, in einer Pressemeldung. "Das betrifft die Deinstitutionalisierung, die Hinwendung zu einer inklusiven Bildung sowie die Aufforderung, die Werkstätten für behinderte Menschen schrittweise abzuschaffen."

In seinen Empfehlungen hält der Ausschuss ferner die Stärkung der Selbstvertretungsorganisationen für erforderlich, die Überprüfung bestehender und zukünftiger Gesetze bezüglich der Vereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention, die Berücksichtigung von Barrierefreiheit in privaten Unternehmen und die Einführung des Konzepts von "Angemessenen Vorkehrungen" sowie die Abschaffung diskriminierender Wahlrechtsausschlüsse.

"Besonders gefreut haben wir uns über die Ausführungen zur Elternassistenz und zu Einkommens- und Vermögensfragen, insbesondere zur Reform des Mehrkostenvorbehalts in Paragraph 13 des SGB XII", so Arnade. "Jetzt ist es erforderlich, schnell einen runden Tisch zur Übersetzung der Empfehlungen ins Leben zu rufen, um das Dokument exakt ins Deutsche zu übersetzen." Nach zwölf Monaten muss Deutschland dem Ausschuss über Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen berichten. Der kombinierte zweite und dritte Staatenbericht ist zum 24. März 2019 fällig.

Die Bundesregierung sieht die Empfehlungen aus Genf allerdings deutlich rosiger. Gabriele Lösekrug-Möller, Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium, liest aus dem UNO-Papier heraus, dass Deutschland auf einem guten Wege sei, auch wenn es noch "erkennbaren Nachholbedarf" gebe. Alle staatlichen Ebenen seien nun in der Pflicht die Empfehlungen zu prüfen und die nötigen Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in ihren Verantwortungsbereichen zu ergreifen.

 

 

Vor zwei Jahren hat Deutschland der UNO einen Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorgelegt. Papier ist bekanntlich geduldig. Aber am 27./28. März 2015 wird der UN-Fachausschuss in Genf den deutschen Bericht prüfen.

Grundlage der Prüfung sind auch die Parallelberichte der Monitoringstelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte und der BRK-Allianz. Beide Berichte werfen Bund und Ländern vor an vielen Stellen lediglich alte Gesetze im Sinne der UN-Konvention neu zu erklären und insbesondere die mangelnde Umsetzung bereits konformer Gesetze zu ignorieren.

Nach Meinung der Monitoringstelle und der BRK-Allianz steht Deutschland in vielen Bereichen in Sachen Inklusion noch ganz am Anfang. So sind zum Beispiel Menschen mit Behinderung, sobald sie umfangreicheren Assistenzbedarf haben, noch immer durch die Regeln der Eingliederungshilfe zu einem Leben an der Armutsgrenze verurteilt - selbst wenn sie arbeiten und gut verdienen.

Auch die beharrliche Nicht-Umsetzung der Pflicht zur inklusiven Bildung wird scharf kritisiert.

Die Anhörung vor dem UN-Fachausschuss wird per Livestream übertragen werden.

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