Wir werden in der Beratung immer wieder damit konfrontiert, dass Schülerinnen und Schüler monatelang oder sogar zunächst auf unabsehbare Zeit nicht am Präsenzunterricht teilnehmen können. Die Gründe hierfür sind vielfältig, sie reichen von schweren Erkrankungen oder Unfallfolgen über chronische Krankheiten bis hin zu psychischen Problemen wie Ängsten oder Traumata. Auch wenn die Einhaltung der Schulpflicht hierbei nicht im Vordergrund steht, so können Heilungs- und Behandlungsfortschritte durch die weitere (soziale und fachliche) Anbindung an die Schule positiv beeinflusst werden. Außerdem soll sich ein zeitweiser Unterrichtsausfall nicht negativ auf die Schullaufbahn auswirken, so dass der Anschluss verloren geht.
Praxistipps:
Sobald Sie wissen, dass Ihr Kind längerfristig erkrankt ist, nehmen Sie bitte Kontakt zur Schule auf, um die Situation zu besprechen. Normalerweise sollte die Schule Sie über die Möglichkeit der Einrichtung von Hausunterricht informieren. Daneben ist es grundsätzlich schulrechtlich auch möglich online am Unterricht teilzunehmen, wenn die Schule bzw. einzelne Lehrkräfte dies anbieten. Leider besteht noch keine Verpflichtung Hybridunterricht in einem solchen Fall anzubieten, obwohl dies in vielen Schulen seit der Corona-Pandemie technisch möglich ist. Zusätzlich sollte vereinbart werden, wie ggf. die Unterrichtsmaterialien von der Schule zu Ihrem Kind kommen und umgekehrt. Letzteres ist seit der Einführung digitaler Lernplattformen und der Einrichtung von personalisierten Schul-E-Mail-Adressen von Lehrkräften (und Schüler:innen) meist der einfachste Weg.
- Stellen Sie möglichst frühzeitig formlos einen Antrag auf Hausunterricht beim Schulamt gem. § 43 AO-SF (Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die Schule für Kranke). Das Schulamt ist in diesen Fällen für alle Schulformen zuständig. Der Antrag ist bei der Schule abzugeben, die ihn an das Schulamt weiterleiten muss.
- Um zeitliche Verzögerungen zu vermeiden empfehlen wir, den Antrag auf Erteilung von Hausunterricht parallel nachrichtlich auch direkt dem Schulamt zuzuleiten.
- Die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens ist dafür zwingend notwendig, aus dem hervorgeht, dass der Schulbesuch krankheitsbedingt voraussichtlich länger als 6 Wochen nicht möglich ist.
- Die Schule kann auch selbst einen Antrag auf Hausunterricht beim Schulamt stellen, wenn ihr das Gutachten vorgelegt wird.
Die Entscheidung über die Einrichtung von Hausunterricht trifft das Schulamt.
Umfang des Hausunterrichts gem. § 45 AO-SF:
"Die wöchentliche Unterrichtszeit beträgt
in den Fällen des § 43 Absatz 1 Nummer 1 und 3 AO-SF in den
- Klassen 1 bis 4 (einschließlich Eingangsklassen an Förderschulen) bis zu 5 Wochenstunden
- Klassen 5 bis 8 bis zu 6 Wochenstunden
- Klassen 9 und 10 bis zu 8 Wochenstunden
- Klassen/Jahrgangsstufen der Sekundarstufe II bis zu 10 Wochenstunden"
Der Hausunterricht soll in den Fächern erteilt werden, die mit 3 Wochenstunden unterrichtet werden oder ein Prüfungsfach sind und sich nach den Vorgaben für den Unterricht der Stammschule richten.
"Schülerinnen und Schüler, die voraussichtlich dauernd gehindert sind, am Unterricht einer Schule teilzunehmen, werden durch Hausunterricht so weit gefördert, dass sie den ihrer Leistungsfähigkeit entsprechenden Bildungsabschluss erreichen können."
Arbeitsweisen oder Unterrichtsformen werden nicht in § 45 AO-SF definiert, darauf weist das Ministerium für Schule und Bildung (NRW) am 02.02.24 auf Anfrage des mittendrin e.V. hin. "Materialbasierte Lerneinheiten sind je nach Einzelfall möglich, wenn zum Beispiel der Gesundheitszustand des Schülers bzw. der Schülern vorübergehend keinen persönlichen häuslichen Kontakt zulässt." Aus der Praxis wissen wir, dass der Hausunterricht auch online in digitaler Form durchgeführt wird.
Herausforderungen beim Hausunterricht:
Der Inhalt des Hausunterrichts richtet sich nach den Vorgaben für den Unterricht der Stammschule (§ 45 Abs. 3 AO-SF). Insofern sollte bezogen auf die Fächer des Hausunterrichts eine enge Anlehnung an das Curriculum möglich sein. Da es sich um individuellen, intensiven Einzelunterricht handelt, können trotz verkürzter Unterrichtsstundenanzahl, in Abhängigkeit von der gesundheitlichen Belastbarkeit, große Fortschritte erzielt werden. Durch die Nachbearbeitung des Unterrichts gelingt dies häufig sehr gut.
Das Ziel des Hausunterrichts besteht grundsätzlich darin, in den Hauptfächern auf die Rückkehr in den regulären Schulunterricht vorzubereiten. Bei langfristig erkrankten Schüler:innen, die ggf. nicht mehr in den Unterricht zurückkehren können, ist das Ziel der Förderung das Erreichen eines der Leistungsfähigkeit entsprechenden Schulabschlusses (§ 45 Abs. 4 AO-SF).
Da der klassische Hausunterricht nicht direkt mit Bewertungen und dem Ablegen von Prüfungen verbunden ist, ergeben sich im Hinblick auf Zeugnisse und Versetzungen Herausforderungen für die Schule. In § 46 AO-SF wird dazu ausgeführt:
"Information über den Leistungsstand, Fortsetzung der Schullaufbahn
(1) Die Lehrkräfte, die den Hausunterricht erteilen, berichten der Stammschule am Ende des Schuljahres über den Leistungsstand der Schülerin oder des Schülers. Sie schlagen der Stammschule vor, nach welchen Anforderungen die Schülerin oder der Schüler im nächsten Schuljahr unterrichtet werden soll. Darüber entscheidet die Klassenkonferenz der Stammschule.
(2) Wird der Hausunterricht beendet und kehrt die Schülerin oder der Schüler in die Schule zurück, äußern sich die Lehrkräfte gegenüber dieser Schule zum Leistungsstand der Schülerin oder des Schülers. Die Schule nimmt sie oder ihn in der Regel probeweise bis zum nächsten Zeugnistermin in die Klasse oder Jahrgangsstufe auf, nach deren Anforderungen sie oder er im Hausunterricht zuletzt unterrichtet worden ist. Nach der Probezeit entscheidet die Versetzungskonferenz, ob die Schülerin oder der Schüler erfolgreich in der Klasse mitarbeiten kann.
(3) Wer aus dem Hausunterricht nicht in die Schule zurückkehrt, erhält ein Abschluss- oder Abgangszeugnis der Stammschule."
Hinweis auf Möglichkeit der “Pädagogischen Versetzung”
Wenn die Versetzungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, kann aus wichtigem Grund (z.B. gesundheiltiche Gründe) dennoch eine Versetzung erfolgen. Die Voraussetzung dafür ist, dass aufgrund der individuellen Leistungsfähigkeit, der Gesamtentwicklung und den Förderungsmöglichkeiten der Schule eine erfolgreiche Mitarbeit in der nachfolgenden Klasse möglich ist. Dies muss im Rahmen der Versetzungskonferenz beschlossen werden (vgl. § 7 Abs. 4 APO-GS (Grundschule), § 22 Abs. 3 APO-S I (Sekundarstufe I) und § 9 Abs. 5 APO-GOSt (Gymnasiale Oberstufe - Versetzung in die Qualifikationsphase).
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Modellvorhaben “digitaler oder Hybridunterricht” im Rahmen des Hausunterrichts
Mit Erlass vom 13.08.2024 hat das Ministerium für Schule und Bildung in NRW ein Modellvorhaben auf den Bereich der Sekundarstufe I ausgeweitet. In der Präambel wird dazu vorangestellt:
“Für Schülerinnen und Schüler, die aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend nicht am Präsenzunterricht teilnehmen können, wird ein zielgruppenorientiertes, staatliches Bildungsangebot erprobt. Dies dient dazu, auch für diese Gruppe eine bestmögliche schulische Förderung zu ermöglichen. Eine Teilnahme soll nicht auf Dauer erfolgen. Hybride Unterrichtsangebote werden ermöglicht. Ziel der Beschulung im schulischen AST-Angebot ist eine Rückkehr in den Präsenzunterricht der Stammschule.”
Weiter heißt es:
"Die bisherige Form des Hausunterrichts gemäß § 21 Absatz 1 Schulgesetz NRW wird mit dem schulischen AST-Angebot um ein digitales Format erweitert, das sich an Schülerinnen und Schüler richtet, denen aus gesundheitlichen oder behinderungsspezifischen Gründen der Schulbesuch nicht möglich ist,
wenn der Hausunterricht in Präsenz aus gesundheitlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt durchgeführt werden kann
oder
wenn durch das schulische AST-Angebot im Rahmen des Hausunterrichts der Schülerin bzw. dem Schüler der Jahrgangsstufe 9 oder 10 die chancengleiche Fortsetzung der Schullaufbahn ermöglicht werden kann."
Ansprechpartner dafür ist das Schulamt, das sich mit der Bezirksregierung abstimmen muss. Details entnehmen Sie bitte dem Erlass des Ministeriums für Schule und Bildung.
Exkurs: Ruhen der Schulpflicht
Wenn Ihr Kind auf längere Zeit unabsehbar aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, am Präsenz- oder Hausunterricht teilzunehmen, dann besteht die Möglichkeit, sich für ein Jahr über die Schulleitung von der Teilnahme am Unterricht befreien zu lassen (§ 43 Abs. 4 SchulG i.V.m. Runderlass des MSB v. 29.05.2015). Für die Befreiung darüber hinaus (länger als ein Jahr oder im Anschluss an eine einjährige Befreiung) ist die Zustimmung der Schulaufsicht erforderlich.
Geltungsbereich:
Die hier beschriebene Regelung bezieht sich zwar ausdrücklich auf das Schulrecht in NRW, doch vergleichbare Regelungen existieren in den einzelnen Bundesländern. Die jeweiligen Regelungen dazu können Sie der Ausarbeitung "Beschulung langfristig erkrankter Kinder in Deutschland" des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages entnehmen.
Kontakt:
Wir beraten Sie gerne persönlich. Vereinbaren Sie mit uns einen Beratungstermin unter der
Telefonnummer 0221 29 43 84 98 oder per Mail unter beratungmittendrin-koeln.de.
Weiterführende Informationen/Links:
Verordnung über die Sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die Schule für Kranke
Beispiel Elternantragsvordruck Schulamt Bochum