Britta Engwicht, eine junge Frau mit blonden Haaren, trägt eine Sonnenbrille und lächelt in die Kamera

“Bewusst aussuchen konnte ich mir die Arbeit nicht.”

Von Suse Bauer · · in Wo hakt's?

Britta Engwicht hat eine klassische Bildungslaufbahn in segregierenden Förderinstituten erlebt – vom Förderkindergarten bis zur Werkstatt für behinderte Menschen. Heute ist ihre ehemalige Förderschule inklusiv geworden, und sie empfindet das als eine sehr positive Entwicklung.

Hallo Frau Engwicht, können Sie sich bitte kurz vorstellen?

Mein Name ist Britta Engwicht, ich bin 41 Jahre alt, arbeite in einer Werkstatt für behinderte Menschen in der Verwaltungsgruppe und wohne in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung. 

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Unsere Werkstatt hat verschiedene Abteilungen: Papierverarbeitung, den Montagebereich und die Metallwerkstatt – diese Bereiche sind Zulieferer für verschiedene Auftraggeber. Und dann gibt es noch die Abteilungen Gastro, Küche und einen Kiosk.
Wenn in irgendeiner Abteilung Dinge benötigt werden, erhalten meine Kolleg*innen und ich Bestellscheine und sind dann für die Online-Bestellungen zuständig. 

Haben Sie sich diesen Arbeitsplatz ausgesucht?

Das hat sich eher so ergeben, bewusst aussuchen konnte ich mir den gar nicht. Aber ich bin wirklich sehr zufrieden und meine Arbeit macht mir großen Spaß. Ich habe da schon ganz andere Erfahrungen gemacht… 

Und was für welche?

Nach meinem Schulabschluss kam ich in eine Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung - einfach weil das die einzige Werkstatt für behinderte Menschen in dem Landkreis war, in dem ich wohnte. In der Werkstatt wurden Fliesen verpackt. Zum einen habe ich allerdings gar keine geistige Behinderung – und zum anderen konnte ich aufgrund meiner Spastik unmöglich zerbrechliche Fliesen verpacken. Einmal verletzte ich mich bei der Arbeit sogar und schlug mir meine Hand auf. Die Situation war unerträglich. Ich wollte gerne in eine andere Werkstatt wechseln – aber es stellte sich heraus, dass das nicht ging, weil die anderen Werkstätten in anderen Landkreisen lagen. 

Bei der Wahl Ihres Arbeitsplatzes war also Ihr Wohnort wichtiger als Ihre Kompetenzen, Behinderung und Wünsche?

Ganz genau. Zum Schluß war die einzige Lösung: ein Umzug. Ich bin dann in meine heutige Wohngruppe in den Landkreis gezogen, in dem es den Arbeitsbereich “Verwaltung” in einer Werkstatt gab. Ich bin heute sehr froh darüber, dass das geklappt hat und finde, ich konnte meine Fähigkeiten sehr gut weiterentwickeln.
Ich wäre in der anderen Werkstatt nie glücklich geworden. 

Wie ist Ihr Bildungsweg verlaufen?

Zunächst kam ich in einen Förderkindergarten für Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen, dann in die angegliederte Förderschule, nach der 6. Klasse wechselte ich an eine andere Förderschule, an der ich meinen Hauptschulabschluss absolvierte. 

Und danach? Eine Ausbildung?

Nein, ich kam direkt in die Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung. Für eine Ausbildung war ich körperlich zu pflegebedürftig, sagte man mir. 

Hatten Sie einen bestimmten Berufswunsch oder einen Traumberuf?

Ja, Schriftstellerin, ich schreibe sehr gerne. Aber ich bin auch mit meiner jetzigen Arbeitsstelle wirklich zufrieden. 


Fakten-Check:
Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Deutschland

Im Artikel 12 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland wird jedem Menschen die freie Wahl des Arbeitsplatzes zugesichert. Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten arbeiten, erleben allerdings allzu oft, dass sie eben keine freie Wahl ihres Arbeitsplatzes haben - sondern sich dem fügen müssen, was ihnen zugewiesen wird. Auch dann, wenn die Arbeit für sie vollkommen ungeeignet ist bzw. sie diese gar nicht leisten können.

Die gesetzte Aufgabe, Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten, gelingt Werkstätten in den allerseltensten Fällen – tatsächlich nur bei 1% aller in Werkstätten beschäftigten Menschen.

Zudem erhalten Menschen, die in Werkstätten arbeiten, kein ihren Leistungen entsprechendes Gehalt, sondern lediglich Arbeitsförderungsgeld plus individueller Vergütung – insgesamt darf der Betrag 351 Euro monatlich nicht übersteigen. Damit gilt der Mindestlohn nicht für behinderte Menschen in Werkstätten.

Den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention, dass behinderte Menschen “das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird” entsprechen die heutigen Verhältnisse in Werkstätten für Menschen mit Behinderung eindeutig nicht.

Seit Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat die Anzahl der Werkstätten nicht ab- sondern zugenommen: Von 700 Werkstätten auf 736 im Jahr 2018. Die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention kritisierte bereits 2015 die Zunahme an Werkstätten für Menschen mit Behinderung: “Der Trend zu wachsenden Beschäftigtenzahlen in Werkstätten soll zugunsten von Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt deutlich umgekehrt werden. Der Vertragsstaat sollte sich weiter in Richtung Inklusion und Partizipation bewegen, einen diskriminierungsfreien Zugang sowie eine auskömmliche Entlohnung gewähren (...)”  

Dieser Text wurde im Rahmen der Kampagne zum Film 
DIE KINDER DER UTOPIE (Hubertus Siegert) erstellt.

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Zum Film DIE KINDER DER UTOPIE

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