Vereinzelte Inklusionsprojekte und Kooperationen mit der Behindertenhilfe allein erzeugen kein inklusives Mainstreaming und keine nachhaltige inklusive Entwicklung der Jugendarbeit insgesamt. 

Es braucht kommunales Handeln, um Ansätze inklusiver Entwicklung zu verstetigen und Inklusion zum allgemein verbindlichen und selbstverständlichen Merkmal der Jugendarbeit zu machen. Dazu gehören neben einer nachhaltigen Bewusstseinsbildung auch konkrete Steuerungsmaßnahmen.

Ausschlaggebend für den Erfolg ist nicht die Frage, ob Orte der Offenen Jugendarbeit sich zu inklusiven Orten erklären, sondern ob es nachweisbar gelingt, realisiertes Angebot für die Jugendlichen mit Schwerbehinderung im Sozialraum zu werden. Maßstab dafür ist, ob eine relevante Zahl von Jugendlichen mit Schwerbehinderung aus dem Sozialraum nachhaltig als selbstverständliche Nutzer:innen der allgemeinen Angebote der Offenen Jugendarbeit gewonnen wurden.

Dabei sind gruppenbezogene Klischees über Jugendliche mit Behinderung zu überwinden und diese als natürliche Zielgruppe der Jugendarbeit in den Blick zu nehmen. Darauf aufbauend, kann unter Orientierung am Menschen und Gesellschaftsbild der UN- Behindertenrechtskonvention die Entwicklung der Einrichtung zum inklusiven Ort beginnen.

Um die verfestigte gesellschaftliche Trennung von Jugendlichen mit und ohne Behinderung zu überwinden, braucht es eine aktive aufsuchende individuelle Einladung von Jugendlichen mit Schwerbehinderung. Diese könnte in Form einer kommunalen Lotsenstruktur organisiert werden, ggf. in Kombination mit eigenen aufsuchenden Angeboten der Orte der Offenen Jugendarbeit.

Die Offene Jugendarbeit ist ein Ort für alle Kinder und Jugendlichen und legt großen Wert darauf, Jugendliche aus marginalisierten Gruppen einzubinden. Einzig die Gruppe der Jugendlichen mit Schwerbehinderung ist in den Orten der Offenen Jugendarbeit praktisch nicht präsent. Die Jugendarbeit ist damit nicht mehr als ein Spiegel der Gesellschaft, die insgesamt an ihren zentralen Orten die Teilhabe von Menschen mit Behinderung nicht gewährleistet. 

Doch warum hat die Offene Jugendarbeit das Fehlen einer Gruppe von Jugendlichen so lange akzeptiert? Die UN- Behindertenrechtskonvention beschreibt den Perspektivwechsel, mit dessen Hilfe Organisationen und Gesellschaften sich inklusiv entwickeln können. Hierzu braucht es Zeiten der vertieften Auseinandersetzung. Im Fokus von Teamtagen oder Fortbildungen könnte die Analyse der UN-Behindertenrechtskonvention stehen, aber auch die Reflektion unseres allzu oft klischeehaften und defizitorientierten Bildes von Menschen mit Behinderung. 

Wir empfehlen das Hinzuziehen von externer Expertise.

Die Jugendarbeit muss für Jugendliche mit Behinderung keine zusätzlichen besonderen Angebote schaffen. Der erste Schritt zur Inklusion ist, die Arbeit und die bestehenden Angebote zu reflektieren und auf Barrieren zu überprüfen, insbesondere auf Barrieren im Denken: Wird unser Tanzangebot vor allem von den besonders hippen Mädchen angewählt? Oder schaffen wir damit einen Raum, in dem sich potenziell alle Nutzer:innen gern entfalten und ausprobieren? Ist der Zugang zu unseren Angeboten durch „Können“ bestimmt, oder reicht auch einfach ein „Wollen“? Sind wir im Einzelfall fl exibel genug, Regeln zu ändern, damit alle teilhaben können? Hierzu gehört auch die Atmosphäre im Haus: Welche Regeln und Rituale gibt es in der Willkommenskultur für neue Nutzer:innen? Wie fördern wir solidarisches Verhalten unter den Nutzer:innen? Wie lenken wir Konkurrenzverhalten unter den Nutzer:innen in eine gemeinschaftsförderliche Haltung? Wie erfolgreich verwirklichen wir unsere Regeln der Antidiskriminierung? 

Wir empfehlen für die Bestandsaufnahme das Hinzuziehen von externer Expertise oder von critical friends.

Wenn es um die Einbeziehung von Jugendlichen mit Behinderung geht, wird schnell der Ruf nach zusätzlichem besonders geschultem Personal laut. Dieser Reflex folgt einer Vorstellung, nach der Menschen mit Behinderung stets „anders“ behandelt werden müssten und resultiert aus der verfestigten Unsicherheit und Entfremdung gegenüber Menschen, die ihr Leben seit Jahrzehnten weitgehend in getrennten Lebenswelten verbringen. Unter der Perspektive, dass auch Jugendliche mit Behinderung in erster Linie Jugendliche sind, fällt es leichter, Ressourcen für die Inklusion zu heben, die in jedem Team der Offenen Jugendarbeit vorhanden sind. Viele Kolleg:innen haben bereits Erfahrung, Angebote auf besonders heterogene Gruppen zuzuschneiden.

Manche Kolleg:innen bringen Kenntnisse aus Spezialgebieten wie zum Beispiel der Psychomotorik oder der Erlebnispädagogik mit. Wieder andere verfügen über lebensweltliche Erfahrungen mit Menschen mit Behinderung in Familie, Bekanntenkreis oder aus früheren Tätigkeiten. Oder sie kennen mögliche Netzwerkpartner zum Thema Inklusion. All diese Ressourcen sollten im Team bekannt sein und im Prozess der inklusiven Weiterentwicklung der vorhandenen Angebote genutzt werden.

Inklusion ist für jede Organisation eine Querschnittsaufgabe, die bei allen Entwicklungen des Hauses im Blick sein muss - bei der Mädchenarbeit ebenso wie bei Fragen der Außendarstellung des Hauses, der pädagogischen Weiterentwicklung der Angebote, der Fortbildungsplanung, der Information und Schulung freier Mitarbeiter:innen oder der Einbeziehung von geflüchteten Jugendlichen.

Die/der Inklusionsbeauftragte wird zu allen Fragen und Entscheidungen beigezogen. Und zwar immer. Sie/Er hält die inklusive Entwicklung des Hauses im Blick, ist erste:r Ansprechpartner: in für Fragen und Probleme, arbeitet an der Vernetzung des Hauses und organisiert federführend die Gewinnung von jugendlichen Nutzer:innen mit Schwerbehinderung.

Jugendliche mit Schwerbehinderung werden und fühlen sich bisher von der Jugendarbeit nicht angesprochen. Neben der Überprüfung der Öffentlichkeitsarbeit wird der Kick Off zur inklusiven Entwicklung nicht ohne aufsuchende Arbeit auskommen. Es gilt, Jugendliche mit Behinderung persönlich in die Jugendarbeit einzuladen. Dabei geht es nicht ohne die Eltern, weil diese weitgehend die Freizeitgestaltung von Jugendlichen mit Schwerbehinderung steuern.

Aufsuchende Arbeit für diese Zielgruppe findet nicht auf der Straße statt, weil die Jugendlichen im öffentlichen Raum kaum präsent sind. Voraussetzung für die aufsuchende Arbeit ist eine intensive Vernetzung im Sozialraum: Wohnungsbaugesellschaften und religiösen Gemeinschaften, inklusive Schulen und räumlich zuständige Förderschulen, Therapeuten, Selbsthilfegruppen oder Leistungserbringer der Behindertenhilfe können Kontakte herstellen und die Basis für die eigene aufsuchende Arbeit bilden.

Inklusive Praxis entwickelt sich erst im Handeln. Die meisten Fragen entstehen erst, wenn Jugendliche mit Behinderung im Haus sind. Gelingt die soziale Einbindung? Wie reagieren die Stamm-Nutzer:innen? Welche Unsicherheiten entstehen bei den Mitarbeiter:innen? Gibt es Verhaltensschwierigkeiten und pädagogische Herausforderungen? Tauchen unerwartete Barrieren auf?

Stolpersteine im Prozess der inklusiven Entwicklung können nur überwunden werden, wenn das Team sich damit kontinuierlich auseinandersetzt. Dafür muss es einen festen Raum in den Teambesprechungen geben, für einen wiederkehrenden, vorstrukturierten und ergebnisorientierten Austausch. Zusätzlich braucht es für alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, aktuelle Unsicherheiten, Widerstände, Fragen jederzeit offen mit der/dem Inklusionsbeauftragten zu besprechen.

Inklusion ist kein Add-on der Jugendarbeit, sondern allgemeine Entwicklungsaufgabe. Damit die Fortschritte auf dem Weg zur Inklusion nicht von Personen und damit vom Zufall abhängig bleiben, müssen die Entwicklungen und Erkenntnisse festgehalten werden und in die Konzeptentwicklung der Einrichtung einfließen. Ein zusätzliches Inklusionskonzept ist dabei nur die zweitbeste Lösung.

Handlungsfeld „Haltung“

Die UN-Behindertenrechtskonvention formuliert den Auftrag an die Gesellschaft, sich so zu verändern, dass Barrieren für Teilhabe ausgeräumt werden. Die hergebrachten Strukturen und Mechanismen zu überwinden, wird in der Jugendarbeit ebenso wie in den anderen Teilen der Gesellschaft nur gelingen, wenn die Akteure sich mit der Perspektive der Inklusion gründlich auseinandersetzen, sie begreifen und auf ihr Arbeitsfeld anwenden. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass sich die Einrichtung als Ganzes der Entwicklung öffnen und sich inklusiv verändern kann, ohne die Maximen der Offenen Jugendarbeit wie die „elternfreie Zone“ im Haus, „Offenheit“ und das Jugendhaus als „Schutz – und Schonraum“ aufzugeben.

Handlungsfeld „Haltung“

Dass Menschen mit Behinderung traditionell in besonderen Institutionen abseits der Mitte der Gesellschaft lernen, arbeiten und wohnen, hat Folgen: Das Bild der Gesellschaft von Menschen mit Behinderung steckt voller Klischees. Dies erschwert inklusive Entwicklungen. Obwohl die wenigsten Jugendlichen mit Schwerbehinderung räumliche Barrierefreiheit, persönliche Assistenz, Pflege und Medikation brauchen, sind dies stets die ersten Fragen zum Thema Inklusion. Gerade zu Beginn der inklusiven Arbeit bleibt es deshalb eine ständige Herausforderung, den/die Jugendliche:n hinter der Behinderung und die individuelle Situation in der Lebensphase Jugend in den Blick zu nehmen.

Handlungsfeld „Haltung“

Damit Jugendliche mit Behinderung das Angebot der Offenen Jugendarbeit annehmen (können), müssen sie sich erst einmal angesprochen und danach bei den ersten Besuchen willkommen fühlen. Aufgrund der gewohnten Parallelität der Welten ist die Hürde dafür hoch. Selbst wenn Häuser sich in ihrer Kommunikation offensiv „für alle“ positionieren, fühlen Jugendliche mit Behinderung sich dadurch nicht „gemeint“. Die Offenheit für Jugendliche mit Schwerbehinderung muss deutlich kommuniziert werden. Auch die praktische Willkommenskultur für neue Nutzer:innen muss in Hinblick auf Inklusion überprüft werden.

Handlungsfeld „Methoden“

Jeder Ort der Offenen Jugendarbeit hat seinen besonderen Charakter, seine Zielgruppe, seine Alleinstellungsmerkmale. Daran müssen im Zuge der inklusiven Entwicklung keine Abstriche gemacht werden. Inklusion braucht keine „anderen“ Angebote. Im Fokus der Teams sollte stehen, die vorhandenen Angebote zu sichten: Braucht es eine Erweiterung der Zugänge? Können bestimmte Barrieren durch kleine Regeländerungen beseitigt
werden? Wie sehen Angebote aus, die für alle Nutzer:innen attraktiv sind? Die meisten Lösungen liegen im Haus selbst. Auch „second-best“-Lösungen sind erlaubt.

Handlungsfeld „Methoden“

Gerade am Beginn des inklusiven Prozesses ist es für Orte der Offenen Jugendarbeit nicht leicht, Nutzer:innen unter den Jugendlichen
mit Schwerbehinderung zu fi nden. Wie gelingt es, potenzielle Nutzer:innen in unserem Sozialraum zu finden? Wer sind die richtigen Ansprechpartner:innen und Multiplikator:innen? Wie kann das Vertrauen der Eltern gewonnen werden?

Handlungsfeld „Methoden“

Jugendarbeit ist elternfreie Zone. Daran ändert auch die Inklusion nichts – oder nur am Rande. Denn wer die Zielgruppe der Jugendlichen
mit Schwerbehinderung erreichen will, muss mit deren Eltern als „Gatekeeper“ kommunizieren. Dafür müssen Formate gefunden, aber auch Grenzen definiert werden. In diesem Rahmen kann Jugendarbeit in der inklusiven Entwicklung von Erfahrungen der Eltern profitieren, ohne sich erlernten Ansprüchen auf „Betreuung“ zu beugen.

Handlungsfeld „Methoden“

Antidiskriminierung ist Dauerthema in der Offenen Jugendarbeit. Wie lässt sich die Herausforderung pädagogisch meistern? Welche Formen der Jugendbeteiligung sind erprobt, um die Antidiskriminierung auch in Bezug auf die neue Zielgruppe der Nutzer:innen mit Behinderung zu verankern? Wo sind unsere eigenen blinden Flecken? Und wie übertragen wir unsere Regeln der Antidiskriminierung auf das Miteinander von Jugendlichen mit und ohne Behinderung?