Grundsicherung schon für Schüler:innen ab 18 Jahren

Dauerhaft voll erwerbsgeminderte Menschen haben ab dem 18. Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf den Bezug von Sozialleistungen wie Grundsicherung und Übernahme der Kosten der Unterkunft durch das Sozialamt, auch wenn sie noch die Schule besuchen. Viele Eltern und Betroffene wissen das nicht und werden über diesen Rechtsanspruch auch nicht systematisch informiert. Nicht selten lehnen Sozialämter beim Erstantrag diese Leistung ab, solange die Betroffenen noch zur Schule gehen oder verweigern sogar die Herausgabe eines Antrags. Sie können jedoch jederzeit formlos Grundsicherung (und ergänzend Hilfe zum Lebensunterhalt) beantragen mit einem eigenen Anschreiben.

Menschen mit Behinderung haben nach Vollendung des 18. Lebensjahres einen Anspruch auf Grundsicherung, wenn sie dauerhaft voll erwerbsgemindert sind. Voll erwerbsgemindert sind Menschen, die wegen einer Krankheit oder Behinderung dauerhaft nicht mindestens drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein können. Diese Feststellung erfolgt durch die Rentenversicherung und kann nur vom Sozialamt oder Jobcenter in Auftrag gegeben werden, nicht durch den Betroffenen oder seine Angehörigen (§ 45 SGB XII). 

Oft wird erst bei Eintritt in die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen die Grundsicherung übernommen, obwohl die gesundheitlichen Voraussetzungen unverändert auch schon mit Vollendung des 18. Lebensjahres als Schüler:in vorliegen. 

Zuständig für den Antrag auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist das Sozialamt. Stellen Sie den Antrag rechtzeitig, die Leistung wird grundsätzlich ab Antragstellung bewilligt.

Gut zu wissen:

Weil in der Regel häufig erst noch eine Überprüfung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung durch die Rentenversicherung vom Sozialamt in Auftrag gegeben werden muss, wird es einige Monate dauern bis das Ergebnis vorliegt. In dieser Zeit können Sie  schon "Hilfe zum Lebensunterhalt" nach dem Dritten Kapitel des SGB XII erhalten. Aufgrund einer Ausnahmeregelung sind Eltern dann nicht mehr zur Sicherstellung des Lebensunterhalts verpflichtet (§ 39 S.3 Nr. 2 SGB XII).

Beim Jobcenter ist es genau anders herum, die Eltern oder andere Familienangehörige, mit denen das Kind zusammenwohnt, sind vorrangig unterhaltsverpflichtet nach dem SGB II. Das Jobcenter ist aber nur für erwerbsfähige Menschen zuständig oder deren Angehörige im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft. Dort kann zwar die Abklärung der gesundheitlichen Einschränkungen und das Vorliegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung ebenfalls erfolgen, jedoch existiert keine Ausnahmeregelung wie im SGB XII, so bis zur Feststellung durch die Rentenversicherung keine eigenständigen finanziellen Leistungen dort erhalten werden können.

Sofern Ihr Kind bei einem Elternteil in der gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert ist, bleibt es auch beim Bezug von Grundsicherung in der Familienversicherung. Die Krankenkasse schickt Ihnen regelmäßig Fragebögen zu den Einkommensverhältnissen Ihres Kindes zu, um zu prüfen ob es sich nicht aus eigenem Einkommen selbst unterhalten kann. Dies ist beim Bezug von Grundsicherung aber nicht der Fall. Bei Fragen hierzu wenden Sie sich am besten an ihre gesetzliche Krankenversicherung. 

Praxistipp:

1. Lassen Sie sich vom Facharzt ein Attest ausstellen, dass Sie oder Ihr Kind  wegen einer Behinderung länger als 6 Monate außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Legen Sie das Attest mit dem Antrag auf Grundsicherung beim Sozialamt vor.

Dadurch wird vermieden, dass sich das Sozialamt für nicht zuständig erklärt und ggf. den Antrag an das Jobcenter weiterleitet. Das Jobcenter ist nur für diejenigen Menschen zuständig, die erwerbsfähig sind, also auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen tätig sein können.

Manche Menschen mit Behinderungen wie z.B. Trisomie 21, die mit einer starken kognitiven Beeinträchtigung verbunden sind, oder schwerstmehrfachbehinderte Menschen, sind offensichtlich oder vermutlich nicht in der Lage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 3 Stunden täglich zu arbeiten. 

2. Stellen Sie unbedingt einen schriftlichen Antrag auf Grundsicherung und ergänzend auf Hilfe zum Lebensunterhalt entweder auf einem Vordruck oder mit einem formlosen Anschreiben an das Sozialamt. In der Regel wird Ihnen das offizielle Antragsformular übersandt. Lassen Sie sich nicht telefonisch "abwimmeln", z.B. mit der Begründung, Schüler:innen könnten keine Grundsicherung erhalten. Über schriftliche Anträge muss mit einem rechtsmittelfähigen Bescheid entschieden werden, gegen den Sie ggf. Widerspruch und Klage einlegen können.

3. Füllen Sie den Antrag auf Grundsicherung vollständig aus und legen alle Nachweise vor, die sich auf die Gesundheit und Behinderung beziehen wie z.B.:

- Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes über das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft

- Kopie des Schwerbehindertenausweises mit den Merkzeichen

- Feststellungsbescheid über einen Pflegegrad

- Fachärztliche oder fachtherapeutische Diagnose der Behinderung

- ggf. Feststellungsbescheid über die Anerkennung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs in der Schule

- ggf. amtsärztliche Gutachten

Wenn es aufgrund aller Angaben und Unterlagen wahrscheinlich erscheint, dass die Voraussetzungen für den Bezug von Grundsicherung vorliegen, ist das Sozialamt (von Amts wegen) verpflichtet, die Rentenversicherung mit der Feststellung/Überprüfung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung zu beauftragen (§ 45 Satz 1 SGB XII).

Weitere Details dazu können Sie dem Rundschreiben 2020/3 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales entnehmen, das weiter unten bei den Rechtsgrundlagen verlinkt ist.

4. Sollten Sie einen Ablehnungsbescheid wegen des Schulbesuchs erhalten, legen Sie innerhalb eines Monats fristgerecht Widerspruch ein. Verweisen Sie in der Begründung darauf, dass Sie oder ihr Kind zum Personenkreis des § 41 Abs. 3 SGB XII gehören, alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllen und dort keine Ausnahmeregelung für Schüler:innen enthalten ist. 

Suchen Sie sich ggf. eine Fachanwältin oder einen Fachanwalt für Sozialrecht, der Sie schon im Widerspruchsverfahren vertritt, damit Sie nicht erst ins Klageverfahren müssen. Weitere Hinweise dazu finden Sie auf unserer Homepage unter der Rubrik Beratungsthemen/Recht bekommen.

 

Kontakt: Wir beraten Sie gerne persönlich. Vereinbaren Sie mit uns einen Beratungstermin unter der
Telefonnummer 0221 29 43 84 98 oder per Mail unter beratungmittendrin-koeln.de

Rechtsgrundlage:

§ 41 Abs. 1 u. 3 SGB XII§ 45 Satz 1 SGB XII

BMAS-Rundschreiben

Geltungsbereich:  Bundesrepublik Deutschland

Weiterführende Links:
bvkm-merkblatt-zur-grundsicherung

Urteil des SG Rostock

 

Grafik mit Text: Neues Beratungsthema - www.mittendrin-koeln.de, darüber steht das Logo des mittendrin e.V mit den Claim: Inklusion schaffen wir.

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