Ärger bei "Inklusionstagen"

Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt vor, dass die Staaten bei der Umsetzung auf allen Ebenen die Betroffenen beteiligen müssen. Der Fachbegriff dafür ist "Partizipation".

Die Bundesregierung hat dafür eine jährliche Veranstaltung aufgelegt: Immer zum Jahresende sind Selbsthilfe und Zivilgesellschaft zu den "Inklusionstagen" nach Berlin eingeladen. Veranstalter ist das Bundesarbeitsministerium BMAS.

All die Jahre waren die Inklusionstage von heftigen Debatten über den richtigen Weg zu einer inklusiven Gesellschaft geprägt. Hier wurden die Aktionspläne der Bundesregierung vorbereitet, das Bundesteilhabegesetz diskutiert, nach guten Wegen zur Verwirklichung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen gesucht.

Diese breite Debatte erscheint uns heute wichtiger denn je. Schließlich ist Deutschland bei der letzten Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-BRK auf immerhin 60 Punkte hingewiesen worden, an denen wir nicht voran kommen. Auch scheint uns längst überfällig, dass die Rolle des Bundes in der Umsetzung von Artikel 24 (inklusive Bildung) gründlich erörtert wird. Denn 8 Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK haben eine Reihe von Bundesländern noch nicht einmal ernsthaft begonnen ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Zum Teil ist sogar deutlich erkennbar, dass der Wille fehlt, die Konvention an diesem Punkt überhaupt umzusetzen. Dies kann der Bund als Vertragspartner der UNO nicht hinnehmen.

In diesem Jahr hat der UN-Fachausschuss in Genf zudem in seinem Rechtskommentar zur inklusiven Bildung (Gen. Comment No. 4) klar gestellt, dass die Staaten zum Aufbau eines inklusiven Bildungssystems auf ihrem gesamten Staatsgebiet verpflichtet sind. Auch der deutsche Sonderweg, die Sonderschulen als Parallelsystem zu erhalten, wurde untersucht und als konventionswidrig erkannt.

Doch anstatt die drängenden Fragen auf die Tagesordnung zu setzen, füllten die Veranstalter die Foren der diesjährigen Inklusionstage bis zum Rand mit Vorträgen über internationale Inklusionsprojekte. Nun ist unbestritten, dass ein Blick über die Grenzen bei der Gestaltung von Inklusion hilfreich und unverzichtbar ist. Sinnvoll ist dies jedoch nur, wenn die internationalen Erfahrungen gemeinsam mit der Situation in Deutschland reflektiert werden. Denn hier herrscht höchster (s.o.) Handlungsbedarf. Diese Rückbindung auf die Politik in Deutschland war aber in den Foren der diesjährigen Inklusionstage nicht vorgesehen und auch nicht möglich. Es gab neben den Vorträgen über internationale Projekte keinerlei Input zur Situation im Inland. Es gab keine Moderation, die in diese Richtung gelenkt hätte und es blieb keine Zeit, in der die Teilnehmer der Foren diese Diskussion hätten beginnen können.

Für uns war schnell klar: In dieser Form sind die Inklusionstage nicht mehr als eine Informationsveranstaltung zu Themen der Inklusion. Ein Instrument der Partizipation, also der Beteiligung an politischen Weichenstellungen, waren sie in diesem Jahr nicht. Deshalb haben wir folgende Erklärung veröffentlicht:

Die "Inklusionstage" der Bundesregierung sorgen in diesem Jahr für Ärger bei Eltern von Kindern mit Behinderung. Die alljährliche Veranstaltung, zu der das Bundesarbeitsministerium stets nach Berlin einlädt, dient ausdrücklich der Partizipation der Betroffenen bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Doch statt wie sonst wichtige Themen für die Aktionspläne des Bundes zu diskutieren, hat der Bund in diesem Jahr die Diskussionsforen ausschließlich mit Vorträgen über Inklusionsprojekte im Ausland gefüllt. Eine Auseinandersetzung, was in Deutschland für Menschen mit Behinderung besser werden muss, fand nicht statt. "Wir freuen uns über die Einladung der Bundesregierung, an der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mitzuwirken. Aber wenn wir Spendengelder ausgeben, um nach Berlin zu reisen, erwarten wir auch eine ernsthafte Auseinandersetzung", sagt Eva-Maria Thoms, Vorsitzende des mittendrin e.V..

Stoff für Diskussionen um weitere Umsetzungsschritte für die Rechte von Menschen mit Behinderungen gäbe es genug. Erst im vergangenen Jahr hatte der UN-Fachausschuss in Genf Deutschland mit 60 Empfehlungen aus der Staatenprüfung entlassen, wo Deutschland mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Rückstand ist.

All dies war bei den diesjährigen Inklusionstagen kein Thema. So kritisieren auch deutsche Elternverbände wie "Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen" und "mittendrin e.V." das hinhaltende Agieren vieler Bundesländer bei der Umsetzung der inklusiven Bildung. Das Thema Schule stand in diesem Jahr - ausnahmsweise - prominent auf der Tagesordnung der "Inklusionstage" - allerdings nur anhand ausländischer Schulprojekte.

Eine Auseinandersetzung mit der Rückständigkeit Deutschlands auf diesem Gebiet wurde vermieden - obwohl der UN-Fachausschuss im Frühjahr einen Rechtskommentar zu Artikel 24 UN-BRK (inklusive Bildung) veröffentlicht hatte, der auch mit Blick auf Deutschland ein Parallelsystem aus Sonderschulen und inklusiven Regelschulen als ausdrücklich unvereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention wertet.

In den vergangenen Jahren hatte der Bund das Thema Schule bei den Inklusionstagen zumeist nur als Nischenthema behandelt - mit Verweis auf die Zuständigkeit der Länder. Auch hier hat der UN-Fachausschuss in seinem Kommentar zu Artikel 24 klar gestellt, dass der Bund in der Verantwortung ist: "Der Ausschuss erinnert daran, dass Artikel 4 Absatz 5 von Bundesstaaten verlangt, dass Artikel 24 ohne Einschränkung oder Ausnahmen für alle Teile des Vertragsstaats umgesetzt wird."

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