Blauer Brief von der UN

Die Aufregung war groß, als der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Munoz, am 1. März 2007 seinen Bericht über Deutschland vorlegte.

In keinem anderen Industrieland ist der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Bildungsabschluss so deutlich wie hierzulande.

Der Bericht rief scharfe Reaktionen hervor. Ganz und gar gegen diplomatische Gepflogenheiten unterstellten Bundesbildungsministerin Annette Schavan ebenso wie der Präsident der Kultusministerkonferenz KMK, Jürgen Zöllner, dem UN-Berichterstatter, das deutsche Schulsystem und seine derzeitige Entwicklung nicht verstanden zu haben. Von Aussonderung der behinderten Kinder, meinten beide, könne jedenfalls keine Rede sein. Man habe in Deutschland schließlich neben den Förderschulen den Gemeinsamen Unterricht.

Dass beide an diesem Punkt nicht mit konkreten Zahlen argumentierten, hat seinen Grund: Die Zahlen der Kultusministerkonferenz selbst belegen, dass der Anteil des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht behinderten Kindern allenfalls Symbolcharakter hat. 87 Prozent aller behinderten Kinder werden in Deutschland in Förderschulen unterrichtet: die Körperbehinderten mit den Körperbehinderten, die geistig Behinderten mit den geistig Behinderten und die Erziehungsschwierigen mit den Erziehungsschwierigen. Von den geistig behinderten Kindern gehen gerade einmal drei Prozent gemeinsam mit anderen Kindern zur Schule.

Das Angebot an integrativem Unterricht reicht nicht annähernd aus, die Nachfrage zu decken. Jedes Jahr werden hunderte Eltern von den Schulämtern gezwungen, ihre Kinder gegen ihren Willen in Sonderschulen zu geben. Andere werden über die Möglichkeiten der integrativen Schule gar nicht informiert oder sie werden gezielt wegberaten. Dabei wird nicht selten auch mit finanziellem Druck gearbeitet, zum Beispiel: Schulbus gibt´s nur für die Förderschule.

Im Alltag des deutschen Schulsystems ist es für Eltern von behinderten Kindern ein strapaziöser Kampf, für ihr Kind einen Platz in einer integrativen Schule zu finden - selbst, wenn das Kind sich von anderen Erstklässlern nur dadurch unterscheidet, dass es sich im Rollstuhl fortbewegt. Wer gar für sein geistig behindertes Kind auf Integration besteht, wird vielerorts von den Ämtern als spinnert, jedenfalls aber als inkompetent behandelt.

Insofern hat der UN-Sonderberichterstatter Munoz das deutsche Bildungssystem erheblich realistischer beschrieben als Deutschlands höchste Bildungspolitiker Zöllner und Schavan.

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