Entscheiden bald die Förderschulen über Gelder für die Integration?

Ein winziger Satz im neuen Schulgesetz, unbemerkt von der Öffentlichkeit in letzter Minute eingefügt, hat eine Debatte ausgelöst:

Ein von den Koalitionsfraktionen CDU und FDP beschlossener Landtagsantrag hat die Befürchtung geweckt, dass die Entwicklung des GU demnächst unmittelbar von der Interessenlage der Förderschulen abhängig sein könnte. Zudem hat die seit jeher stiefmütterliche Behandlung des GU durch die Landespolitik Geschichte.

1981 startete das Kultusministerium der SPD-Regierung auf Drängen der Elternbewegung einen Schulversuch zum sonderpädagogisch unterstützten zielgleichen und zieldifferenten Lernen von Kindern mit unterschiedlichen Behinderungen in einer begrenzten Zahl von Grundschulen und nachfolgend in wenigen Gesamt- und Hauptschulen. Trotz nachweislicher pädagogischer Erfolge drückte sich das Ministerium vor einer Entscheidung. Erst 1995 wurde der GU ohne Wahlrecht für Eltern, mit Haushaltsvorbehalt und nur für die Primarstufe gesetzlich verankert, während der GU in der Sekundarstufe bis 2004 als Schulversuch auf Eis gelegt wurde. Reformer kritisieren die Unterfinanzierung des GU sowie seine bildungspolitische Randstellung, die von der internationalen Schulentwicklung völlig abweicht. Von den 125. 413 Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden 88 % immer noch in Förderschulen ausgesondert.

Um zu wissen, was auf den GU politisch zukommt, veranstalteten die GU-Befürworter ein Hearing. Während die Liberalen auf eine Teilnahme verzichteten, kam für die CDU-Landtagsfraktion Frau Kastner. Nicht zufällig hatte der Veranstalter, das Aktionsbündnis GU-NRW, als Ort die Gesamtschule Köln-Holweide ausgesucht. Ist sie doch eine der wenigen Schulen im Land, die nach der Grundschule die Integration fortsetzen kann und auch ganz bewusst will. Mit 160 Förderschülern beweise sie täglich, so Schulleiter Karl-Robert Weigelt, dass GU eine "Erfolgsgeschichte" ist. Das Aktionsbündnis charakterisierte er als einen Zusammenschluss von "Überzeugungstätern", die zur Beratung der Politik angetreten seien.

Die CDU-Vertreterin Kastner wiegelte ab. Keineswegs gehe es um einen Angriff auf den GU. Kompetenzzentren sollten an den Start gehen, um mehr Gemeinsamkeit herzustellen und den Eltern bezüglich des Förderortes eine größere Mitsprache geben. Den wissenschaftlich belegten Erkenntnissen über die negativen Effekte der Förderschulen mochte Frau Kastner nicht widersprechen. Dass es aber dennoch keinen gezielten politischen Auftrag zum Ausbau des GU, geschweige denn einen Systemwechsel in der sonderpädagogischen Förderung geben wird, wurde im Verlauf der Veranstaltung klar. Zu viele Hindernisse wurden von der politischen Seite geltend gemacht: Die Regierung sei angetreten, die Qualität im bestehenden System zu steigern. Ein Umsteuern sei zudem nicht finanzierbar. Außerdem könnten Schulen und Lehrer nicht zum GU gezwungen werden. Das gälte auch für die Kommunen als Schulträger. Es gäbe halt auch Eltern, die die Förderschule wollten. Diese Einwände wollte Bernd Kochanek, Vorsitzender der LAG Gemeinsam Leben und Lernen, nicht gelten lassen. Kompetenzzentren hätten die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit der allgemeinen Schulen zu stärken und Eltern über Beratung ein Wahlrecht einzuräumen. Gerade deshalb dürften sie nicht an Förderschulen eingerichtet werden.

Während Frau Kastner dafür warb, erst das Handlungskonzept des Ministeriums abzuwarten, forderte das Aktionsbündnis eine öffentliche und partizipative Expertenanhörung der CDU-Landtagsfraktion vor jeder weiteren Planung. Vertrauen in das Ministerium hielten alle Anwesenden für unangebracht.

Und was hat sich seitdem getan?

Man hört, dass im Ministerium an einer Rechtsverordnung für Kompetenzzentren gebastelt wird. Der Landesvorstand des Verbands der Sonderpädagogik (vds) war auch zwischenzeitlich nicht faul. Man steht in engem Kontakt mit den Zuständigen im Ministerium und versucht, so Einfluss zu nehmen auf die konzeptionelle Ausgestaltung. Gleichzeitig wirbt der Landesvorstand in Regionalveranstaltungen bei Schulleitern der Förderschulen für sein Konzept. Je mehr Beteiligte er nachweislich darauf einschwören kann, desto größer der Einfluss auf das Ministerium, so das Kalkül.

Auf einer dieser Regionalversammlungen im Münsterland wurde deutlich, was der vds anstrebt. Mit dem Modell des Kompetenzzentrums soll eine Förderschule in einer definierten Region alles regeln können, was mit der sonderpädagogischen Förderung verbunden ist. Auch die Entscheidung über den Förderort, die jetzt noch von der Schulaufsicht getroffen wird, soll in ihre Zuständigkeit fallen. Und natürlich soll sie als Kompetenzzentrum zukünftig auch zuständig sein für die Verteilung der sonderpädagogischen Ressourcen, die vom Land bereitgestellt werden.

Der GU hat keine Priorität in dem Konzept. Es gibt ihn nach Maßgabe des Kompetenzzentrums auch. Als Kriterium für die Entscheidung über den Förderort gilt weiterhin die „Passung" von Kind und Förderort. Dieses ebenso subjektive wie dubiose Kriterium wird weiterhin dafür sorgen, dass die Kinder integrationsfähig sein müssen, um eine Chance auf Teilnahme am Gemeinsamen Unterricht zu haben. Umgekehrt besteht keine Verpflichtung für die Politik und die allgemeinen Schulen, sich auf den Weg zu machen, um den pädagogischen Förderbedürfnissen aller Kinder in einer Schule für alle zu entsprechen.

Auf die Frage von Teilnehmern der Regionalveranstaltung, aus welchem akuten Handlungsbedarf man sich als Förderschule dieses Konzept zu eigen machen sollte, verwiesen Vertreter des vds auf die Existenzsicherung der Förderschulen gegenüber potentiellen politischen Vorstellungen, Förderschulen zu schließen.

Schlagworte

  • Förderschule
  • NRW
  • Inklusive Schule