Obwohl Nenad schon früh begann, seine Lehrer um einen Wechsel auf eine andere Schule zu bitten, bescheinigte auch die Kölner Sonderschule jedes Jahr wieder, Nenad habe eine geistige Behinderung und müsse auf der Sonderschule bleiben. Dabei hatten sie selbst erkannt, dass bei Nenad M. keine geistige Behinderung vorliegt.
Die Beschulung auf der Sonderschule „geistige Entwicklung“ wurde in den Förderplänen mit fehlender Disziplin und sozialen Schwierigkeiten begründet. Damit haben die zuständigen Sonderpädagogen, die Sonderschule und letztlich auch die Schulaufsicht fortgesetzt gegen nordrhein-westfälisches Schulrecht verstoßen. Dieses sieht mit gutem Grund ein aufwändiges Gutachterverfahren vor, wenn Schüler mit reduziertem Lernstoff unterrichtet werden sollen, oder sogar von den allgemeinen Schulen auf Sonderschulen verwiesen werden. Denn diese Entscheidungen haben dauerhaft weitreichende negative Folgen für den Bildungsabschluss der jungen Menschen und damit für die Chancen im Berufsleben.
Die nordrhein-westfälischen Elternvereine für Gemeinsames Lernen hoffen nun auf das Landgericht Köln. Aus der Schulakte von Nenad M. ist eindeutig zu ersehen, dass er aus sachfremden Gründen auf der Sonderschule festgehalten wurde.
Nenad M. ist zu wünschen, dass das Gericht bestätigt, dass ihm Unrecht geschehen ist und er deshalb Anspruch auf Schadenersatz wegen vorenthaltener Bildung hat. Die Vereine sehen im „Fall Nenad“ einen Beleg für die Gefahren des Sonderschulsystems für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung. Denn: Nenad M. ist kein Einzelfall. „Wir erleben in unserer Beratungspraxis immer wieder, wie schwer sich Sonderpädagogen tun, einmal gestellte Diagnosen zu hinterfragen“, sagt Bernd Kochanek vom Vorstand des Landesverbands Gemeinsam leben, Gemeinsam lernen NRW e.V. In der Regel haben die Schulen auch überhaupt kein Interesse daran und zusätzlich fehlt jeglicher Anreiz.“ so Kochanek. „Solange die Existenz einer Sonderschule davon abhängt, ob es genügend Kinder mit dem entsprechenden Label gibt, werden sich diese auch immer finden lassen.“
Sackgasse Sonderschule
Vor allem eine Beschulung an Sonderschulen, denen es bekanntlich an öffentlicher und sozialer Kontrolle durch Mitschüler, Eltern und Lehrer der allgemeinen Pädagogik fehlt, kann für falsch diagnostizierte Kinder zur Bildungsfalle werden. Besonders dramatisch ist dies, wenn es sich wie im Fall Nenad um eine Sonderschule „Geistige Entwicklung“ handelt, an der gar kein Schulabschluss abgelegt werden kann. Der Weg in ein erfolgreiches Berufsleben ist ohne Schulabschluss und mit Zeugnissen der Schule „Geistige Entwicklung“ verbaut.
Bereits im Dezember des vergangenen Jahres hatte der Inklusionsfachverband Gemeinsam leben, Gemeinsam lernen e.V. die Schulministerin Sylvia Löhrmann aufgefordert, eine unabhängige Kommission in die Sonderschulen zu entsenden. Eine solche „Soko Sonderschule“ solle die Schulen inspizieren und im Zweifelsfall Diagnosen von SchülerInnen überprüfen, um falsch diagnostizierten SchülerInnen den Rückweg in die allgemeinen Schulen zu ermöglichen. Löhrmann lehnte dies bisher ab.
Fälle wie der des Nenad M. belegen auch, wie falsch die populäre Annahme ist, nach der die sogenannten „Förderschulen“ per se eine besonders hohe Qualität hätten, so dass dort Kindern und Jugendlichen mit Behinderung eine besonders gute Förderung zuteil würde. „Genau wie Nenad werden auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung in diesen Schulen allzu oft zu stark behütet. Es fehlt diesem Schonraum das Stück „Normalität“, das Kinder miteinander und auch aneinander wachsen lässt“, sagen die Eltern. Eva-Maria Thoms, Vorsitzende des Kölner Elternvereins mittendrin e.V., schließt: „Genau das ist der Grund, warum wir den Abbau von Sonderschulen und die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems für alle Kinder und Jugendlichen fordern.“