Politik und Praxis

/ Eva-Maria Thoms

Nordrhein-Westfalen macht sich auf den Weg zur Inklusion, und allen voran seine einzige Millionenstadt: Köln.

Der erste kommunale Inklusionsplan in NRW, eine Verfünffachung der Schulen des Gemeinsamen Lernens in den vergangenen drei Jahren. Beeindruckende Zahlen. Und dann Dieses:

Wir befinden uns in einer Förderschule Lernen. Es ist ein Nachmittag im November 2014. In der Gesprächsrunde sitzen: Der Vater von Leila, Zuwanderer aus ärmlichsten Verhältnissen. Der Schulleiter der Förderschule mitsamt Leilas Klassenlehrerin und der Sonderpädagogin. Dazu zwei Damen der nahen Grundschule, die gerade mit dem Gemeinsamen Lernen angefangen hat: Die Klassenlehrerin der 2. Klasse und die Sonderpädagogin. Thema: Der Förderortwechsel, den Leilas Eltern im Sommer beantragt haben. Sie sind nicht zufrieden mit der Förderschule und möchten dass Leila ins Gemeinsame Lernen wechselt.

Fünf Lehrer wollen Leilas Vater nun erklären was sie in ihrem Gutachten bezüglich des Förderortwechsels herausgefunden haben.

Leila ist ein nettes Mädchen, lobt die Grundschullehrerin. Aber sie sei immer so müde, dass sie sogar in der Schule einschlafe. Sie habe ja ein ausgenommen positives und enges Verhältnis zu ihrer Förderschullehrerin, stimmt die zweite Grundschullehrerin ein. Aber sie könne ja immer noch nicht fließend lesen, und das im zweiten Schuljahr, gibt sie zu bedenken.

Leidgeprüfte Eltern werden schon ahnen was nun folgt. Und tatsächlich: Sie könnten sich nicht vorstellen Leila in ihre Grundschule aufzunehmen, betonen die Grundschullehrerinnen. In ihren Klassen mit 20 Kindern und mit Leilas Müdigkeit und wenn sie noch nicht einmal lesen könne. Völlig unmöglich sie dort gut zu fördern.

Für alle Nicht-Eingeweihten lassen wir uns dies Argumentationskette noch einmal auf der Zunge zergehen:

Das Mädchen ist müde und schläft in der Förderschule ein. Vielleicht schläft sie zu wenig. Vielleicht findet sie den Unterricht in der Förderschule auch zum Gähnen langweilig? Müdigkeit ist jedenfalls nicht einmal ein Grund für sonderpädagogischen Förderbedarf, geschweige denn für den Besuch eine Förderschule. Es sei denn man argumentiere, dass sie dort in den kleinen Klassen besser schlafen könne.

Zweites Argument: Sie könne in der zweiten Klasse noch nicht fließend lesen. Aha. Wer jemals eine Förderschule Lernen von innen gesehen und den Unterricht dort beobachtet hat wird wissen, dass fließend Lesen in der zweiten Klasse aus mehreren Gründen dort kein Thema ist. Aber auch fehlende Lesekenntnisse an sich sind kein Grund für einen sonderpädagogischen Förderbedarf, geschweige denn für den Besuch einer Förderschule. Im Übrigen auch der Migrationshintergrund Leilas, ihre mangelnden Kenntnisse der deutschen Sprache und ihre bildungsferne Familie nicht.

Trotzdem meint eine Grundschule des Gemeinsamen Lernens, ausgestattet mit einer Sonderpädagogin, dieses Mädchen nicht fördern zu können und versucht sich aus der Sache heraus zu argumentieren. Wir erinnern: Es geht bei Leila nicht um ein schwerst behindertes oder schwer verhaltensauffälliges Kind, sondern um ein kleines Mädchen mit Förderbedarf Lernen.

Die Frage sei erlaubt: Wen will diese Schule eigentlich inkludieren, wenn schon Leila offenbar zu behindert ist für die Inklusion?

Aber lauschen wir weiter dem Gespräch: Die Lehrerin der Förderschule fasst zusammen dass Leila doch in der Förderschule viel besser aufgehoben sei. Sie solle noch zweieinhalb Jahre bleiben. Dann könne sie zur fünften Klasse ja immer noch ins Gemeinsame Lernen wechseln.

Wofür ein beherzter Blick aufs Kindeswohl doch alles gut ist: Die Grundschule erfreut sich an der Verstärkung durch die Sonderpädagogin und kann trotzdem die Kinder mit Förderbedarf abwimmeln. Die Förderschule behält eine Schülerin, redet sich ein sie erst  ein paar Jährchen fit zu machen und bleibt nebenbei noch ein bißchen länger über der Mindestschülerzahl.

Verzeiht liebe Lehrer, ob Sonder- oder nicht: Nach solchen Gesprächen graust mir vor Euch!

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