Auszeichnung vom LVR

Man bekommt nur selten Blumen dafür, eine Zumutung zu sein. Der Förderschulträger Landschaftsverband Rheinland (LVR) hat den mittendrin e.V. für sein Engagement mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet.

Man bekommt nur selten Blumen dafür, eine Zumutung zu sein. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) hat schon oft Kritik vom mittendrin e.V. erlebt. Das ist auch kein Wunder, wenn ein großer Förderschulträger und ein Elternverein für Inklusion aufeinandertreffen. Beide bekennen sich zum Ziel der Inklusion. Die Vorstellungen über den Weg dorthin sind meist denkbar unterschiedlich. Aber können Systeme sich verändern, wenn sie nicht von Betroffenen immer wieder auf die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit hingewiesen werden? Die Abgeordneten im LVR haben mehrheitlich entschieden, dass man die Kritik des mittendrin e.V. braucht und die Arbeit des Vereins preiswürdig ist.

Lesen Sie hier unsere Dankesworte:

Sehr geehrte Frau Schmitt-Promny, sehr geehrter Herr Dr. Elster, sehr geehrte Damen und Herren,

herzlichen Dank – an dieser Stelle von  meiner Kollegin Tina Sander und mir - für diese Auszeichnung und die vielen lobenden Worte!

Wir freuen uns sehr, dass der LVR entschieden hat, unseren Elternverein mittendrin e.V. für das Engagement für Inklusion – insbesondere das Engagement für inklusive Bildung – mit dem Rheinlandtaler in der Kategorie „Gesellschaft“ auszuzeichnen.

Unser Verein wird im November dieses Jahres 15 Jahre alt. In der Vorbereitung dieses Jubiläums haben wir uns auch selbst mit der Frage beschäftigt: Wer sind wir und was zeichnet unsere Arbeit aus? Die Antwort lautet letztlich immer: Wir sind eine ziemliche Zumutung!

Wir sind eine Zumutung, weil wir von ganzen Systemen – und damit auch von den Menschen, die in diesen Systemen arbeiten – verlangen, sich zu verändern. Kritisch zu hinterfragen, ob das eigene Handeln Inklusion befördert oder behindert. Und das Handeln gegebenenfalls zu verändern.

In diesem Sinne ist auch unser inzwischen ebenfalls fast 15 Jahre altes Mit- und Nebeneinander mit dem LVR von unseren Zumutungen bestimmt – oder nennen wir es: von Reibungen. Das ist kein Wunder, wenn ein Elternverein für Inklusion und ein großer Träger von Förderschulen aufeinandertreffen.

Wir erinnern uns gern an den Schuldezernenten Michael Mertens. Er hat den Versuch nie aufgegeben, uns nachzuweisen, dass seine Förderschulen für unsere Kinder doch viel besser seien als die Inklusion. Gleichzeitig hat er uns stets gern eingeladen, seine eigenen Initiativen für Inklusion zu bereichern.

Noch lieber erinnern wir uns an den Dezernenten Ulrich Wontorra, an legendär hitzige Streitgespräche in kleinem Kreis, bei gleichzeitig tiefem Verständnis für die jeweils andere Position.

Soweit der Blick in die Historie.

Allgemein haben wir in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass man nur selten Blumen dafür bekommt, eine Zumutung zu sein. Umso mehr freuen wir uns darüber, dass der LVR unsere Zumutungen wertschätzt. Dass er sie sogar als preiswürdig erachtet. Dass er mit diesem Preis anerkennt, dass Systeme für Fortschritt und Veränderung eine starke zivilgesellschaftliche Kraft von außen brauchen. Und dass der konstruktive Streit, den wir immer wieder miteinander führen, unsere Gesellschaft in Richtung des Ziels der Inklusion voranbringt.

Vielleicht sollten wir noch erklären, wie wir zu einer solchen Zumutung geworden sind. Der Elternverein mittendrin e.V. hat sich ja nicht entlang parteipolitischer Ideen zusammengefunden und auch nicht anhand einer abstrakten Reformidee.

Wir haben erlebt und erfahren, wie die Welt sich verändert, wenn man sie aus der Sicht unserer Kinder mit Behinderung sieht. Wir haben erlebt, wie all die vielen Spiel-, Freizeit- und Gruppenangebote für Kinder aus unserem Blick verschwanden – weil sie für unser Kind nicht gedacht waren. Wir haben erlebt, dass der Kindergarten um die Ecke sich nicht zuständig fühlte. Wir haben erlebt, dass unserem Kind die örtliche Grundschule verschlossen blieb und die Nachbarskinder sich dort auf dem Schulhof andere Freundschaften suchten. Wir haben vermisst, dass diese Gesellschaft unser Kind an allen ihren Orten einfach aufnimmt und teilhaben lässt – anstatt ihnen zwar umfangreiche Unterstützung anzubieten, aber nur, wenn sie sich aus dem vertrauten Umfeld in Sonderwelten entfernen. Diese Erlebnisse haben uns als junge Eltern zutiefst verletzt. Und wir teilen sie mit all den Eltern, deren Kinder der LVR in seine Förderschulen aufgenommen hat.

Wir Eltern von Kindern mit Behinderung sind eine Community. Wir kennen uns aus Krankenhäusern und Arztpraxen, wir kennen uns aus Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Frühförderzentren. Wir haben die gleichen Wünsche und Hoffnungen für das Leben unserer Kinder.

Wir wünschen uns, dass sie als Kinder gemeinsam mit den Nachbarskindern auf den Spielplätzen im Wohnviertel spielen. Dass sie sich als Jugendliche trauen, ihre Neigungen und Talente in Sportvereinen, Theaterworkshops oder Roboter-Laboren zu erproben. Dass sie eine gute Bildung erhalten. Um dann als Erwachsene das Zutrauen in sich selbst zu haben, sich mit den eigenen Fähigkeiten in diese Gesellschaft einzubringen.

Und weil wir die gleichen Erlebnisse und Wünsche haben, pflegen wir privat und auch im mittendrin e.V. langjährige und vertrauensvolle Verbindungen zu Eltern, deren Kinder auf Förderschulen unterrichtet werden. Eine ganze Reihe von ihnen sind Mitglieder in unserem Elternverein. Keine von ihnen beschreiben uns die Förderschule als ein an sich besseres System. Es gab für ihr Kind nur vor Ort keine oder keine gute und passende inklusive Schule. Es gab kein Willkommen, keine Ermutigung, nicht ausreichend Unterstützung. Mit einem wirklichen Elternwahlrecht zwischen zwei guten Alternativen hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. Unseren Einsatz für eine Verbesserung der Verhältnisse finden sie deshalb gut. Das in der Politik zuweilen gehandelte Bild von einer Spaltung zwischen Förderschuleltern und Inklusionseltern ist nicht unsere Lebensrealität. Man sollte auch nicht versuchen, sie uns einzureden.

Der mittendrin e.V. ist also nichts weiter als ein Elternverein, der – zugegeben – laut und nervig für das Recht von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung streitet, in die Mitte dieser Gesellschaft aufgenommen zu werden und teilhaben zu können. Im Ziel sind wir uns mit dem LVR also einig. Wie der Weg dahin gelingt und wie der LVR dazu den besten Beitrag leisten kann: Darüber wollen wir gerne weiter mit Ihnen streiten.

Wir danken Ihnen nochmals herzlich für die Auszeichnung. Und nehmen den Rheinlandtaler als Einladung an, Ihnen auch in Zukunft – konstruktiv! – auf die Nerven gehen zu dürfen.

Foto der Mitglieder des mittendrin e.V. nach der Preisverleihung LVR Rheinlandtaler

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