BaWü: "Wahlrecht" unter Aufsicht?

Schon zum zweiten Mal hat der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau heute das Ende der Sonderschulpflicht für behinderte Kinder verkündet und ein "Wahlrecht"

zwischen Sonderschule und Regelschule versprochen - dieses Mal schon fürs kommende Schuljahr. Und wieder gilt: Lesen Sie das Kleingedruckte! Gewählt werden darf nur zwischen Vorschlägen, die eine sogenannte "Bildungswegekonferenz" vorlegt. Ein Wahlrecht unter Aufsicht, die Fortdauer der Entmündigung.

So zwingt die UN-Behindertenrechtskonvention die Schulpolitiker der Bundesländer zu immer abenteuerlicheren Verrenkungen. In Hamburg wie in Baden-Württemberg - großmäulig wird ein "Wahlrecht" angekündigt. Sieht man genauer hin, sollen doch die Ämter das letzte Wort haben. Sonderschulen werden zu Kompetenz-, Beratungs- und Bildungszentren umbenannt - und bleiben doch was sie sind: Auffangschulen für alle Kinder, die in die Norm der Regelschulen nicht "passen".

Die Taktik Baden-Württembergs ist dabei ebenso traurig wie beispielhaft. Es wird großes TamTam betrieben, um möglichst gar nichts zu ändern. Ein Expertenrat wird zusammengerufen, der komplett von den üblichen Verdächtigen des alten Systems dominiert wird, die sich auch für die Zukunft eine wichtige Rolle sichern wollen. Der Ratschlag dieser "Experten" ist vorhersehbar: Kein Abbau der Sonderschulen und eine abgesicherte Diktatur der Experten. Eltern dürfen für ihr Kind die Schule wählen - aber nur, solange sie sich an die Vorschläge der Experten halten. Wenn nicht, folgt wie gehabt die Zwangszuweisung. "Zwingende Gründe" oder "unverhältnismäßiger Aufwand" lässt sich immer irgendwie belegen. Zur Not behauptet man, die anderen Schüler in den Regelschulen schützen zu müssen. So wird - mehr als 60 Jahre nach der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte - ein Recht auf behindertenfreie Schule konstruiert, anstatt in den Schulen die Bedingungen zu schaffen, dass alle gemeinsam lernen können.

Die Angst der Politiker und Behörden vor selbstbewussten Menschen mit Behinderung - und ihren Familien - muss ungeheuerlich sein. Statt ihnen endlich das Selbstbestimmungsrecht zu geben, wird öffentlichkeitswirksam von "Wahlrecht" gesprochen und werden hintenrum neue erstickende bürokratische Strukturen aufgebaut. So sollen in Baden-Württemberg nach den vorgestellten Plänen künftig FÜR JEDES EINZELNE KIND Bildungswegekonferenzen zusammentreten und beraten, wo und wie es unterrichtet werden soll. Ein bürokratischer Overkill, der Eines verhindert: die selbstverständliche Teilhabe.

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