Bluttest: Seid mal ehrlich!

/ Eva-Maria Thoms

Der Gemeinsame Bundesausschuss wird in dieser Woche den Krankenkassen empfehlen, den vorgeburtlichen Bluttest auf Trisomie künftig zu finanzieren.

Die Mitglieder des Beratergremiums sind, selbstredend nach ausgiebigem Hin- und Herwenden aller Argumente, zu dem Schluss gekommen, dass dies – ja, was? - medizinisch sinnvoll sei?

Dass die Ausschussmitglieder bei ihrer Empfehlung Unwohlsein verspüren, scheint überdeutlich zwischen den Zeilen durch. Nein, hier will niemand die Abtreibung von Föten mit Behinderung propagiert haben. Es will auch niemand ein Screening von ungeborenen Kindern einführen. Der Test solle nur finanziert werden, wenn es sich um eine Risikoschwangerschaft handele, und eine Beratung der Schwangeren soll es geben, womöglich durch einen Arzt, der sich mit Menschen mit Trisomie auskennt. Der Test solle keinesfalls die Vorentscheidung für eine Abtreibung sein, es gehe um das Recht der werdenden Eltern, um eine mögliche Trisomie zu wissen.

Ähnlich haben sich schon die Abgeordneten des Bundestages gewunden, als sie sich im Frühsommer mehrere Stunden Zeit für eine Ethikdebatte über eine mögliche Kassenfinanzierung des Bluttests genommen haben. Da waren angemessen ernsthafte Gesichter zu sehen, man lobte sich gegenseitig für emotionale Tiefe und ausgebreitete Gewissensnot. All dies nur, um anschließend im Stimmungsbild mehrheitlich für den Trisomie-Test auf Krankenschein zu votieren. Und alle geben vor, dafür gute Gründe zu haben.

Doch halten diese Gründe einer näheren Betrachtung stand?

1. Die medizinische Sinnhaftigkeit

Der vorgeburtliche Bluttest auf Trisomie hat keinen medizinischen Nutzen. Im Gegensatz zu anderen Diagnostiken dient er nicht dazu, eine passende Heilbehandlung zu bestimmen. Es geht ja nicht darum, aus einem Fötus mit Trisomie einen Fötus ohne Trisomie zu machen. Der einzige Nutzen des Tests ist, werdenden Eltern, die sich ein Kind wünschen, die Informationsgrundlage für folgende Entscheidung zu liefern: Will ich DIESES Kind, das da gerade im Mutterleib heranwächst? Oder möchte ich das Leben DIESES Kindes vorzeitig beenden? Und es dann vielleicht mit einer neuen Schwangerschaft versuchen? Dies ist eine individuelle Frage der Lebensplanung. Es ist keinesfalls eine medizinische Frage.

2. Die soziale Frage

Bluttests, mit denen Frauen schon früh in der Schwangerschaft schmerzfrei, ohne medizinische Risiken und recht sicher Trisomien des Kindes erkennen können, gibt es seit 2012. Seitdem kann jede Schwangere diesen Test machen lassen. Der Preis ist inzwischen auf rund 200 Euro gesunken. Dennoch sehen Befürworter der Kassenfinanzierung des Bluttests hier ein Problem: Sie wollen, dass auch Frauen mit niedrigem Einkommen sich diesen Test ohne Mühe leisten können.

Das hört sich sehr verantwortungsvoll an. Und ist doch extrem unehrlich.

Wir finanzieren den Leuten keine Brillen und keinen Zahnersatz, wir deckeln ihnen medizinisch notwendige Physiotherapien. Aber ausgerechnet der pränatale Bluttest muss gratis auf Krankenschein verfügbar sein, weil sich sonst die soziale Frage stellt?

3. Das Recht auf Information

Bei der Ethikdebatte im Bundestag war mehrfach zu hören, dass es bei der Krankenkassenfinanzierung des Bluttests gar nicht darum ginge, Kinder mit Trisomie abzutreiben. Es gehe zunächst einmal nur darum, schon vor der Geburt zu wissen, dass das Kind genetisch anders ausgestattet ist.

Angesichts der heutigen Abtreibungszahlen (über 90 Prozent) bei erkannten Trisomien sind derartige Aussagen entweder atemberaubend naiv oder schlicht Selbstbetrug. Die selbstquälerische Debatte im Parlament kann über Eines nicht hinwegtäuschen: Seit es vorgeburtliche Diagnostik gibt, unterliegen Schwangere hierzulande dem unhinterfragten und bisweilen sogar schamlos geäußerten Druck, die Geburt eines Kindes mit Behinderung möglichst zu vermeiden. Dessen Ausdruck ist die Frage „Hast Du denn keine Fruchtwasseruntersuchung gemacht?“, die wohl keiner Mutter eines Kindes mit Trisomie 21 erspart bleibt. Dieser Druck wird immens wachsen, wenn Kinder mit Trisomie schon in der frühen Schwangerschaft gratis und unkompliziert diagnostiziert und schnell abgetrieben werden können.

Das angebliche Recht auf Information wird zum spürbaren Druck, dieses Kind dann auch zu beseitigen.

4. Die ärztliche Sorge um Risikoschwangere

Eines der erstaunlichsten Argumente, die Kassenfinanzierung des Bluttests reinen Gewissens zu empfehlen, ist die Aussage, der Test solle doch nur bei Risikoschwangerschaften eingesetzt werden. Dies grenzt an Desinformation, denn es suggeriert, der kassenfinanzierte Test solle die Ausnahme bleiben.

Tatsächlich sind die Kriterien für eine sogenannte Risikoschwangerschaft weit gefasst und füllen inzwischen eine lange Liste. Ihr Anteil liegt aktuell bei 73 Prozent aller Schwangerschaften, mit steigender Tendenz. Und nein, dies ist kein Tippfehler. 73 Prozent aller Schwangerschaften. Die Frauenärzte werden den Test also nicht im Ausnahmefall anbieten müssen, sondern faktisch als Standardprogramm der Schwangerschaftsvorsorge.

5. Die freiheitliche und die feministische Perspektive

Ob wir Schwangerschaften austragen und Kinder gebären, ist schon lange nicht mehr Gottes Wille oder staatlich auferlegte Pflicht. Frauen haben das Recht, über ihren Körper und ihr Leben selbst zu bestimmen. Sie haben das Recht, eine ungewollte Schwangerschaft nicht auszutragen. Sie haben dazu auch das Recht, wenn aus dem gewollten Kind durch eine Behinderung ein ungewolltes Kind geworden ist.

Bei der Entscheidung für eine Kassenfinanzierung geht es nicht um die individuelle Entscheidung und es geht schon gar nicht um einen irgendwie gearteten Zwang, ein Kind mit Behinderung auszutragen.

Kinder mit Behinderung binden ihre Eltern länger und diese Elternschaft ist deutlich anstrengender als bei einem nicht behinderten Kind. Ein wesentlicher Faktor dafür ist die stetige Reibung an einer Gesellschaft, die Menschen mit Behinderung ausgrenzt, und in gewissem Maße deren Angehörige gleich mit. Haben wir uns nicht zum Ziel gesetzt, dies zu ändern?

Es ist – auch vor diesem Hintergrund - ein grundlegender Unterschied, ob eine Gesellschaft individuelle Entscheidungen respektiert, oder ob sie die Abtreibung von Embryonen mit Trisomie auch noch fördert, indem sie die Diagnostik gratis und bezahlt von der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten zur Verfügung stellt.

Es werden die Frauen sein, die den steigenden Erwartungsdruck aushalten müssen, gefälligst ein nicht behindertes Kind zu gebären.

 

Ernsthaft betrachtet, sticht also keines der Argumente für die Kassenfinanzierung des Trisomie-Tests.

Seltsam unbeleuchtet bleibt aber, welchen Schaden der kassenfinanzierte Bluttest anrichten wird – für einzelne Menschen und für die Gesellschaft. Machen wir uns nichts vor: Die meisten Menschen in diesem Land halten es für empfehlenswert, wenn nicht sogar geboten, eine Schwangerschaft abzubrechen, wenn das Ungeborene eine Trisomie hat. In diesem gesellschaftlichen Umfeld führt die Kassenfinanzierung des Bluttests zu einem umfassenden Ungeborenen-Screening. Die Zahl der Geburten von Kindern mit Trisomie wird weiter extrem sinken. Menschen mit dieser genetischen Ausstattung werden äußerst selten werden. Und jeder Einzelne wird zur Rest-Existenz, die in den Augen ihrer Mitmenschen sehen kann, dass man sie für vermeidbar hält.

Menschen mit Trisomie 21 haben dies schon verstanden. Während Politik und Öffentlichkeit sich einreden, es gehe bei der Kassenfinanzierung des Bluttests ja „nur“ um die Information, erkennen die Betroffenen sehr genau, dass hier ihre persönlichen Lebensbedingungen verhandelt werden und ihr Status in dieser Gesellschaft. Auf mehreren Kundgebungen in den vergangenen Monaten haben sie ihre Wut, ihre Empörung und ihre Angst öffentlich gemacht. Man muss nur hinhören.

Mit der Kassenfinanzierung des Bluttests auf Trisomie machen wir den großen entscheidenden Schritt, die Schwangerschaftsvorsorge zu einem gesellschaftlichen Eugenik-Programm zu verändern. Wollen wir das? Wollen wir gesellschaftlich entscheiden, und diesmal ganz offiziell, dass es okay ist, Föten mit bestimmten Behinderungen abzutreiben? Und wohin führt uns das?

Es gibt kein Recht auf ein perfektes Kind. Und so lange Kinder auf natürlichem Wege gezeugt und ausgetragen werden, kann kein Staat der Welt dies ändern. Die gesellschaftliche Angst vor dem Kind mit der Trisomie 21, das uns als Symbol von Behinderung erscheint, ist irreführend. Die meisten Behinderungen bei Kindern entstehen während und nach der Geburt. Dagegen schützt kein Bluttest und keine Eugenik.

Das Einzige, das wir mit der bevorstehenden Entscheidung für eine Kassenfinanzierung des Bluttests auf Trisomie erreichen, ist: Wir sägen weiter an der Fähigkeit unserer Gesellschaft, Anders-Sein zu akzeptieren und menschliche Vielfalt zu schätzen.

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