Praxistest "Elternwahlrecht" #4

Wenn's um Inklusion in der Schule geht, sind Viele Anhänger eines "Elternwahlrechts". Und die konstanten Anmeldezahlen an den Sonderschulen dienen oft als Beleg dass Eltern Inklusion gar nicht wollten.

Aber ist die Anmeldung an der Sonderschule wirklich Ausdruck einer freien Wahl? Wir gehen dieser Frage in einer kleinen Serie nach. Heute Folge #4, in der die Inklusion dem Mangel zum Opfer fiel.

Wenn Schulen zu viele Probleme haben...

Als Tina eingeschult wurde, war Inklusion für uns durchaus ein Thema. Allerdings hatten wir den Eindruck, dass die Grundschulen um uns herum überhaupt noch keine Erfahrung hatten, und wir wollten Tina nicht zum Versuchskaninchen machen. Auf einen Tipp hin haben wir uns dann aber doch die Grundschule X angesehen und waren spontan begeistert. Zu unserer Überraschung erfuhren wir, dass diese Schule das Gemeinsame Lernen schon seit 20 Jahren verwirklicht.

Die ersten zwei Schuljahre lief alles super. Die Schule hat altersgemischte Klassen und die großen Mädchen haben sich sofort sehr lieb um Tina gekümmert und sie super mit eingebunden. Jetzt, in Tinas drittem Schuljahr, hat sich an der Schule leider Vieles geändert. Das Schulgebäude muss abgerissen und neu gebaut werden, so dass die Schule einige Kilometer weit entfernt in ein Ausweichgebäude ziehen musste. Dadurch hat sich auch die Zusammensetzung der Schülerschaft verändert. Es war vorher schon eine Schule im sozialen Brennpunkt, aber am neuen Standort sind noch einmal deutlich mehr Kinder mit großen Schwierigkeiten dazugekommen.

Die Kinder aus unserer Nachbarschaft fahren jetzt morgens mit dem Schulbus zum neuen Gebäude, und Tina ist schon jeden Morgen frustriert, weil sie dort nicht mitfahren darf. Der Busunternehmer weigert sich grundsätzlich Kinder ohne erwachsene Begleitung mitzunehmen, die in der Schule einen Integrationshelfer haben. Tinas Integrationshelferin kann aber nicht so früh anfangen, und so muss Tina zusehen, wie die anderen ohne sie losfahren.

Dazu kommt, dass die großen Mädchen aus der Klasse weg sind. Die jüngeren Mitschüler haben eher Scheu oder Angst vor Tina. Da hat sich über Monate hinweg eine ungute Stimmung aufgebaut. Die Kleinen hatten Angst und verhielten sich sehr distanziert. Tina merkte das natürlich, fühlte sich abgelehnt und wurde ihrerseits unfreundlich, schwierig und aggressiv. Die Lehrerinnen haben das meiner Meinung nach viel zu lange laufen lassen. Als sie endlich etwas unternommen und mit den kleinen Mitschülern über Tinas Besonderheiten gesprochen haben, war es zu spät. Die Mitschüler wurden danach zwar freundlicher zu ihr, aber für Tina war der Zug abgefahren. Sie kann sich so schnell nicht wieder umstellen. Ergebnis ist, dass sie inzwischen die meiste Zeit mit ihrer Integrationshelferin außerhalb der Klasse verbringt.

So, wie es ist, macht das für Tina keinen Sinn mehr. Das ist schade, weil wir sie gern die ganzen fünf Jahre in der Grundschule gelassen hätten. Eigentlich hat Tina ganz tolle Lehrerinnen, und wenn die Schule durch den Umzug nicht so viele neue Probleme bekommen hätte, wäre dass sicherlich alles anders gelaufen. In der neuen Situation sind die Lehrerinnen einfach völlig überlastet. Ja, ich hab auch einmal mit der Schulleiterin gesprochen, zwischen Tür und Angel. Aber die hat so viele andere Probleme. Wir möchten Tina daher jetzt gerne auf einer Förderschule anmelden. Leider zieht sich das Verfahren seit Monaten hin. Auch das führt zu Frust bei Tina. Ihre Zwillingsschwester weiß schon lange, auf welche weiterführende Schule sie kommt. Bei Tina kann ich es immer noch nicht mit Sicherheit sagen. Sie hat sich in der KM-Schule beim Probetag sehr wohl gefühlt. Man hat richtig gemerkt, dass sie froh war, dass auch die anderen Kinder nicht alles besser konnten. Sie fragt jeden Tag, ob sie dorthin gehen darf. Wir hoffen, dass es bald endlich eine Entscheidung vom Schulamt gibt!

Es wäre super, wenn Schulen wirklich Möglichkeiten hätten, auf die Kinder einzugehen und inklusiv zu arbeiten. Aber das ist bisher noch in kaum einer Schule so, schon gar nicht in weiterführenden Schulen. Und jetzt eben auch in Tinas Grundschule nicht mehr. Sehr schade...

Anonym, Rheinland

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