Nachteilsausgleiche

Schülerinnen und Schüler mit Behinderung und/oder "besonderen Auffälligkeiten" (z.B. LRS, AD(H)S) sollen in der Schule die gleichen Chancen haben. Dafür brauchen sie Unterstützung. Nachteile, die durch die Behinderung entstehen, sollen ausgeglichen werden.

Auf diese sogenannten „Nachteilsausgleiche“ haben Schüler:innen mit Behinderung(en) oder einem festgestellten Sonderpädagogischen Förderbedarf einen Rechtsanspruch. Sie sollen dafür sorgen, dass sie beim Lernen im Unterricht, bei den Hausaufgaben und bei Prüfungen (Klassenarbeiten, Tests, Lernzielkontrollen) nicht wegen der Behinderung weniger leisten können und schlechtere Noten bekommen. 


Ausgestaltung von Nachteilsausgleichen (NTA)

Als Nachteilsausgleiche können beispielsweise  die äußeren Rahmenbedingungen einer Leistungsüberprüfung oder  die Unterrichtsorganisation durch zeitliche, technische, personelle oder räumliche Anpassungen verändert werden. In Einzelfällen können auch Aufgaben verändert werden.  

Dazu zählen etwa:

  • die Verlängerung von Vorbereitungs- oder Bearbeitungszeiten 
  • Hilfen zur zeitlichen Strukturierung 
  • die Verwendung von speziellen Unterrichtsmaterialien (auch in elektronischer Form) 
  • das Ersetzen von mündlichen durch schriftliche Prüfungen (oder umgekehrt) 
  • den Einsatz von technischen Hilfsmitteln wie Tablets, Computern oder Talkern
  • die Möglichkeit, die Leistungsüberprüfung in einem separaten Raum unter Aufsicht durchzuführen
  • Gewährung von zusätzlichen oder verlängerten Ruhepausen

Mehr konkrete Beispiele zur Umsetzung finden Sie u.a. unter dem Link: Wir für Pänz e.V..

Außerdem finden Sie am Ende dieses Artikels unter "Dokumentation" einen Link zur "Vorlage Dokumentationsbogen" auf der Webseite des Kreis Warendorf. Dort kann eine Excel-Tabelle heruntergeldaden werden, die im unteren Bereich spezielle Nachteilsausgleiche für ADHS, Autismus, Dyskalkulie, Hören, KME, LRS, Sehen, Selektiver Mutismus beinhaltet. Bitte schauen Sie sich diese Vorlage an, da Sie sowohl Ihnen als auch den Lehrkräften Hinweise auf ggf. erforderliche Möglichkeiten zur Ausgestaltung von Nachteilsausgleichen gibt.

Praxistipp zur Beantragung von Nachteilsausgleichen

  • Voraussetzung für die erstmalige Gewährung eines Nachteilsausgleichs ist u.a. eine medizinische Diagnose der Behinderung bzw. Erkrankung, ein ärztliches Attest, ein Feststellungsbescheid über das Vorliegen einer (Schwer-)Behinderung oder die Feststellung des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs durch die Schulaufsicht. Reichen Sie diese Nachweise mit der Antragstellung ein, sofern sie der Schule noch nicht vorliegen.
  • Die Attestpflicht gilt nicht für Nachteilsausgleiche im Zusammenhang mit einer von den Lehrkräften festzustellenden Lese-Rechtschreibschwäche (LRS), LRS-Erlass, s.u.
  • Den Antrag sollten Eltern/Schüler:innen und/oder Lehrer:innen idealerweise schriftlich bei der Schulleitung stellen.
  • Die Nachteilsausgleiche müssen von Schuljahr zu Schuljahr neu beantragt und von der Schulleitung genehmigt werden.
  • Unserer Erfahrung nach ist es wichtig, dass Sie als Eltern oder Schüler:innen sich selbst darum kümmern. Erfahrungsgemäß sind viele Lehrer:innen über das Recht auf Nachteilsausgleiche nicht gut informiert.
  • Sprechen Sie zu Schuljahresbeginn die Lehrkräfte bzw. zuständigen Koordinator:innen darauf an und vereinbaren ein Beratungsgespräch.
  • Nachteilsausgleiche können formlos, sollten aber besser schriftlich beantragt werden, damit Sie Nachweise darüber haben und ggf. gegen eine Ablehnung vorgehen können (z.B. Einschaltung der Schulaufsicht).
  • Gegen die Entscheidung der Schulleitung können Sie Widerspruch einlegen, auch wenn dies nicht ausdrücklich auf dem Bescheid der Schulleitung steht. Entscheidungen über die Gewährung von Nachteilsausgleichen sind Verwaltungsakte.
  • Wenn die Schulleitung einem Widerspruch nicht vollumfänglich stattgibt, muss der Widerspruch von der Schule an die Schulaufsicht weitergeleitet werden. Dort wird dann ein Widerspruchsbescheid erstellt, gegen den ggf. eine Klage erhoben werden kann. 
  • Die Nachteilsausgleiche müssen schriftlich festgehalten und in die Schüler:innenakte aufgenommen werden, das ist besonders wichtig für die Weitergewährung bei Übergängen in die Sekundarstufe II und für die Gewährung bei Zentralen Prüfungen (z.B. ZAP 10, Abitur).
  • Ausdrücklich festlegen, dass die Schule dafür verantwortlich ist, die Information über die konkreten Nachteilsausgleiche an alle Lehrer:innen, besonders bei Lehrer:innenwechseln und zum neuen Halbjahr, weiterzugeben (über Klassenlehrer:innen, Klassenkonferenz, Stufenkonferenz).
  • Nicht alle Schulen verfügen über ein größeres Erfahrungswissen im Hinblick auf die Vielzahl möglicher Nachteilsausgleiche in Abhängigkeit von den individuellen Beeinträchtigungen. Bei auftretenden Abstimmungsproblemen mit der Schule können Sie sich an die örtlich zuständigen Inklusionskoordinator:innen, Inklusionsfachberater:innen, Autismusfachberater:innen oder Ansprechpartner:innen der Schulaufsicht (Schulamt oder Bezirksregierung) wenden.
  • Die Schulleitung entscheidet bis auf die Abiturprüfungen über sämtliche Anträge auf Nachteilsausgleiche in den jeweiligen Jahrgangsstufen und auch bei der ZAP 10.

Die Grundlage für die Entscheidungen über Nachteilsausgleiche bilden die Orientierungshilfen für Schulleitungen zur Gewährung von Nachteilsausgleichen.

Geltungsdauer des Nachteilsausgleichs

Um beim Schuljahreswechsel zu vermeiden, dass bis zur Entscheidung über einen neuen Nachteilsausgleich ein Vakuum entsteht und ggf. zuvor gewährte Regelungen zumindest zeitweise nicht fortgeführt werden können, empfehlen sich folgende Lösungsmöglichkeiten:

1. Die Nachteilsausgleichsregelungen enden mit Beginn der Herbstferien des nachfolgenden Schuljahres.
    Dies ermöglicht es, zwischen dem Schuljahresbeginn und den Herbstferien eine neue Regelung zu finden.

2. Im genehmigten Nachteilsausgleich wird die Formulierung aufgenommen, dass diese Vereinbarung so lange fortbesteht bis eine neue Entscheidung getroffen wird. 

 

Was passiert, wenn der bewilligte Nachteilsausgleich nicht umgesetzt wird

Leistungsnacheise, die ohne Einhaltung der schriflich zugesicherten NTA erbracht worden sind, verstoßen u.a. gegen das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes (s.u.) und das Schulrecht. Die Rechtsfolge daraus ist, dass der Leistungsnachweis entweder unter Gewährung des NTA wiederholt werden muss oder ersatzlos nicht be- und gewertet werden darf. Diese Leistung darf nicht in die schriftliche oder ggf. mündliche Notenbildung mit einfließen.

Wir hören in der Praxis immer wieder davon, dass Schulen NTA nicht umsetzen, sei es aus Versehen oder weil nicht alle Lehrkräfte immer gleich gut darüber informiert sind. Legen Sie schriftlich Beschwerde gegen den Leistungsnachweis ein, dann muss die Schule darüber entscheiden. In NRW muss die Schule Ihre Eingabe an die Schulaufsicht weiterleiten, wenn sie ihr nicht statt gibt.  Haben Sie grundsätzliche Probleme bei der Gewährung oder praktischen Umsetzung von NTA an der Schule Ihres Kindes, wenden Sie sich direkt an die zuständige Schulaufsicht mit der Bitte um Unterstützung.

Besonderheit bei AD(H)S

In NRW wird AD(H)S schulrechtlich nicht als Behinderung angesehen. Dabei wird Bezug genommen auf ein Urteil des OVG Münster vom 07.11.2018 (Aktenzeichen 14 A 2071/16):

„Eine Erkrankung an ADHS im Erwachsenenalter ist prüfungsrechtlich als Dauerleiden zu bewerten.

Ein Dauerleiden ist eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustands, die die erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit trotz ärztlicher Hilfe prognostisch nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft oder doch auf unbestimmte, nicht absehbare Zeit ohne sichere Heilungschance bedingt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose ist der Zeitpunkt der Prüfung. Dauerleiden prägen als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften die Leistungsfähigkeit des Prüflings. Ihre Folgen bestimmen deshalb im Gegensatz zu sonstigen krankheitsbedingten Leistungsminderungen das normale Leistungsbild des Prüflings. Sie sind mithin zur Beurteilung der Befähigung bedeutsam, die durch die Prüfung festzustellen ist. Der in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit lässt es daher nicht zu, eine von den Auswirkungen eines Dauerleidens betroffene Prüfungsleistung unberücksichtigt zu lassen.“

ADS und ADHS werden zu den sog. „besonderen Auffälligkeiten“ gezählt (Arbeitshilfe für Schulleitungen, Nr. 4.2). Unabhängig von ihren Auswirkungen und Ausprägungen begründet eine besondere Auffälligkeit aus Sicht der Schulaufsicht allein weder eine Behinderung noch einen Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung. Dementsprechend kann hieraus auch kein Anspruch auf Nachteilsausgleich (z.B. Zeitzugabe) in den Zentralen Prüfunen 10 abgeleitet werden.

In den Arbeitshilfen für die Schulleitungen über die Gewährung von Nachteilsausgleichen heißt es dazu:

"Besondere Auffälligkeiten allein, unabhängig von ihren Auswirkungen und Ausprägungen, begründen
im Rahmen der schulrechtlichen Vorgaben in Nordrhein-Westfalen weder eine Behinderung noch
einen Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung. Sie wirken sich auf die individuellen
Lernleistungen unterschiedlich aus und benötigen daher differenzierte pädagogische
Unterstützungsmaßnahmen.

Das seit 2006 in § 1 Schulgesetz NRW verankerte Recht einer jeden Schülerin und eines jeden
Schülers auf individuelle Förderung eröffnet Lehrkräften diesbezüglich einen pädagogischen
Gestaltungs- und Ermessensspielraum. 
Bei Anhaltspunkten auf punktuelle oder auch kombinierte Lernschwierigkeiten ist es wichtig,
frühzeitig den klärenden Dialog zwischen Elternhaus und Schule zu suchen, um Verfestigungen rechtzeitig
entgegenzuwirken. Bei aller gebotenen Ermutigung und Stärkung des Selbstvertrauens, kann
allerdings bei der Leistungsbewertung aus Gründen der Gleichbehandlung nicht vom Maßstab des
jeweils gesetzten Anforderungsniveaus abgewichen werden.                                                                                                                                                                                                                                               
Die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Auffälligkeiten und Schwierigkeiten
liegt grundsätzlich in schulischer Zuständigkeit."

Geltungsbereich: 

Das Benachteiligungsverbot leitet sich aus Artikel 3 des Grundgesetzes, aus Paragraf 209 des Neunten Teils des Sozialgesetzbuches (SGB IX) und § 2 Abs. 5 des Schulgesetzes NRW ab (vergleichbare Regelungen existieren in den Schulgesetzen der Bundesländer). Der Nachteilsausgleich dient der Kompensation, der durch die Beeinträchtigung entstehenden Nachteile, und stellt keine Bevorzugung gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern dar. Als wesentlicher Bestandteil eines "barrierefreien Unterrichts während der gesamten Schullaufbahn" ist er in der Richtlinie der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 20.10. 2011 aufgenommen und schließt auch die Berufsausbildung ein.


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Weiterführende Informationen/Links:

AD(H)S

Autismus

Hören und Kommunikation

LRS

Dokumentation

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